piwik no script img

Die neue Daseinsfreude

Wie man das Überleben zwischen Dschungel und Hartz IV trainiert, zeigt „Mamba“, eine neue Comiczeitung aus Berlin. Heute liegt die erste Nummer der „Jungle World“ bei. Vorbild waren die Comiczeitungen Istanbuls, die sagenhafte Auflagen erreichen

Die Mamba ist ja ein wendiges und flinkes Reptil, das zudem extrem giftig ist

VON BRIGITTE PREISSLER

Andreas Michalke hat sich jetzt sogar zum Türkischkurs angemeldet. Seitdem der Comiczeichner im September 2005 nach Istanbul reiste, um den türkischen Underground auszukundschaften, scheint er eine latente Besessenheit für das Land zu entwickeln. Vor allem die Comics dort haben es ihm angetan. Denn während man in Kreuzberg vermutlich lange nach türkischen Strips suchen müsste, entdeckte Michalke in Istanbul eine ziemlich radikale, textlastige und aggressive Comicszene. „Die sind absolut gnadenlos in ihrem Humor und vollkommen irrsinnig. Da werden Esel gefickt und Fäkalwitze gerissen, man spottet über die ländliche Bevölkerung und lässt einfach nichts aus, was hässlich und lustig ist. Manches erinnert an Robert Crumb. Für unsere Verhältnisse ist das zum Teil unheimlich vulgär, und es hat in der türkischen Gesellschaft eine viel größere Sprengkraft als hierzulande. Es gibt dort auch mehr Zeichner, die ein echtes politisch-soziales Anliegen vertreten“, erzählt er begeistert.

Während in Deutschland bislang überhaupt keine Comiczeitungen existierten, kommentieren türkische Zeichner das politische Tagesgeschehen gern in eigenen Blättern. In Istanbul erscheinende Comic-Zeitungen wie LeMan oder Manyak werden, so Michalke, mit sagenhaften Auflagen zwischen 30.000 und 60.000 Exemplaren ausschließlich am Kiosk verkauft. Die wichtigste Comiczeitung der Türkei ist für ihn die strukturell unabhängige Penguen, die angeblich rund 10.000 Stück pro Woche (!) absetzt.

Eine gezeichnete Zeitung nach diesem Vorbild – oder dem der französischen Charlie Hebdo – muss auch in Berlin her, fand Michalke. „Ich wollte auch so was Billiges, Schnelles haben. Ein Medium, das am Kiosk und nicht im Comicfachgeschäft rumliegt, und in dem man schnell und pointiert auf aktuelle Themen reagieren kann.“ Die Comiczeitung, die er jetzt zusammen mit Stefan Rudnick, dem einstigen Geschäftsführer der Wochenzeitung Jungle World, mit Hannes Niepold von der Bildagentur Comicstills und mit der Mediendesignerin Minou Zaribaf ins Leben ruft, sollte erst „Neue Berliner Illustrierte“ heißen. Das ging jedoch aus rechtlichen Gründen nicht. Wie Penguen einen Vogel aus der Arktis als Namenspatron zu wählen, wäre auch einfallslos gewesen. Deshalb ist das Blatt jetzt nach einer Schlange benannt: Mamba.

Der Titel ist durchaus programmatisch zu verstehen: „Die Mamba ist ja ein wendiges, flinkes Reptil, das extrem giftig ist“, erklärt Minou Zaribaf. „Flink“ bedeutet vorläufig, dass die Comiczeitung alle zwei Monate erscheinen soll. „Außerdem wollen wir Dschungelbewohner sein.“ Mit „Dschungel“ ist wiederum die Jungle World gemeint, der die achtseitige Mamba heute zum ersten Mal beiliegt. Und während die Jungle World selbst ums Überleben kämpft und bis Anfang des neuen Jahres 500 neue Abos an Frau und Mann bringen muss, hat sich die neue Comiczeitung vorgenommen, mittelfristig zu einer eigenständigen Publikation zu werden; mit einigen potenziellen Herausgebern wird bereits verhandelt. „Ein Anzeigenblättchen wollen wir aber nicht werden“, betont Zaribaf, die Anfang der 90er mit Michalke schon das Comicmagazin Artige Zeiten ins Leben rief.

Für die erste Mamba haben die Initiatoren 23 Zeichner zusammengetrommelt und hoffen, diese bald auch bezahlen zu können. Vertreten sind Comiczeichner aller erdenklichen stilistischen und inhaltlichen Richtungen. Der „Didi & Stulle“-Star Fil ist dabei, aber auch Zeichner, die eher autobiografisch arbeiten wie Zaribaf oder auch Mawil, von dem das Editorial stammt. Und während die türkische Penguen ihre ersten drei Seiten stets für ein bestimmtes politisches Thema freischaufelt, bleiben bei Mamba die ersten vier von insgesamt acht Seiten jeweils einer aktuellen Debatte vorbehalten.

In der ersten Nummer kommt das Thema „Unterschicht“ in Vollfarbe gut rüber. Hannes Niepold zeichnet zum Beispiel einen herrlich trostlosen graugrünen Strip zum Thema „Hartz IV ist ein zu eng gebauter Tunnel über einer verworfenen Gegend, die nur aus Sackgassen besteht“. Minou Zaribaf ernährt sich in ihrem Beitrag von Whiskas und lässt sich von ihrer Freundin deren trostloses Arbeitslosenschicksal schildern. Auch Danielle de Picciottos wunderschöner Comic über „Das lustige Künstlerleben“ passt trefflich zur Unterschichtthematik. Von LGX Lillian Mousli stammt eine gebückt über die Seite schlurfende Alditütenträgerin, der allein der Anblick eines Rockefeller-Denkmals zu neuer Daseinsfreude verhilft: „Ha! Aber ich lebe noch!“ Möge der giftigen Comic-Mamba ein ebenso freudvolles Überleben beschert sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen