: Der rote Rapper
Der Hamburger Rapper Holger Burner kämpft mit Hip-Hop für den Sozialismus. Mit seinem Propaganda-Rap ist er in der Goldkettchen-Szene ein Außenseiter. Trotzdem wird er respektiert: weil er sein Handwerk beherrscht und glaubwürdig ist
von Klaus Irler
Wenn Hip-Hop eine Farbe hätte, dann wäre er golden wie die Ketten, die die Rap-Stars im Musikfernsehen tragen. Oder silbern wie die Maske, mit der der Berliner Krawall-Rapper Sido Quote gemacht hat. In jedem Fall würde der Hip-Hop glitzern und wäre eines ganz bestimmt nicht: rot im Sinne von sozialistisch. Genauso wenig, wie er schwarz oder grün sein könnte.
Rapper stellen sich nicht in den Dienst einer politischen Bewegung. Insofern ist der Hamburger Rapper Holger Burner ziemlich einzigartig: Bei ihm geht es ausschließlich um Politik. Wobei sein Standpunkt klar definiert ist: „Ich bin Gewerkschafter und Sozialist, weil ich es für nötig halte.“ Er ist in der Sozialistischen Alternative (SAV) organisiert und hat „für und wegen Demos und Streiks angefangen zu rappen“. Seine kürzlich erschienene CD heißt „Cypherpropaganda“. Einer der Reime des Eröffnungstracks lautet: Mein Leben lang hass ich den Staat, weil er Panzer vercheckt /Entspannte Tracks sind nich mein Ding, wenn ich rappe läuft der Kanzler weg
Holger Burner heißt eigentlich David Schultz, ist 28 Jahre alt und seit drei Semestern Sozialpädagogik-Student in Hamburg. An diesem Vormittag steht er in seiner Souterrain-Wohnung in Hamburg-St. Pauli, das Fenster vor dem selbst gezimmerten Hochbett ist klein und Schultz sagt: „Man muss im Winter das Licht anmachen, sonst wird man depressiv. Zum Glück habe ich keine Tendenz, depressiv zu werden.“ Unter der Zimmerdecke verlaufen Rohre und im Gang stehen großformatige Graffiti-Gemälde, die sein Mitbewohner gemacht hat. Schultz fehlt ein Schneidezahn, was ihn verwegen aussehen lässt. Es war ein Unfall beim Übersteigen eines Zaunes in Richtung Badeweiher. Wenn das mit der CD nun gut läuft, könnte er nach Jahren endlich das Geld für eine Brücke zusammenbekommen.
Sieben Euro kostet die CD, und in das Booklet hat Schultz geschrieben: „Wer mein Album gut findet, brennt es allen seinen FreundInnen.“ Die Chancen, dass die Leute seine CD gut finden, stehen nicht schlecht: Schultz ist ein außergewöhnlich guter Rapper. Seine Reime sind abwechslungsreich, der Flow stimmt, ebenso wie die Prägnanz und die Kraft seiner Stimme. Die Beats dazu grooven schwer, aber dezent: Schultz ist niemand, der stundenlang im Studio an diesem oder jenem Sound bastelt. Dafür wirken die Reime unangestrengt frisch.
Es ist ein Gegenentwurf zur MTV- und Viva-Welt, in der Rapper vornehmlich von teuren Autos und großen Oberweiten erzählen. Schultz sagt: „Es nervt mich, wenn Rapper sexistische Videos produzieren. Mein Rap ist antisexistisch.“ Außerdem ist sein Rap weitgehend ironiefrei. Es geht um Unterdrückung durch die Staatsmacht, um Asylpolitik, Waffengeschäfte und Hartz IV, und Schultz meint, was er sagt.
In der Szene führt das erst mal zu Irritationen. Aber die „Skills“ passen, das wird von den Rap-Kollegen anerkannt. Außerdem glaubt man Schultz, dass er hinter dem steht, was er von sich gibt. Und Glaubwürdigkeit ist in der Szene ein wertvolles Gut. Zumal Schultz viele Battles in Hamburg gemacht hat, bei denen es darauf ankommt, im Rap-Dialog spontan die besseren Reime hinzukriegen. Den Gewinner kürt das Publikum durch Applaus. „Beim Freestylen würden mir nicht mehr als zwei bis drei Rapper in Deutschland einfallen, die das besser können als ich“, sagt Schultz. „Die Kids sagen dann: ‚Krass, was du kannst‘.“ Es ist die Leistung, die die Politik-Raps salonfähig macht. „Aber educated“, sagt Schultz, „sind die Leute deswegen nicht.“
Er selbst ist noch vor seinem Abi in die Gewerkschaft eingetreten. Aufgewachsen ist er in Kassel, wo er „sozialistisch sozialisiert“ wurde: Seine Mutter war in der DKP, mit ihr ist er als Kind zu Ostermärschen und Demos für die 35-Stunden-Woche gegangen. „Ich habe damals mitgekriegt, dass es möglich ist, sich zu solidarisieren.“ Anfang der 1990er Jahre brannten dann in Deutschland Asylantenheime, Schultze war damals 15. „Das hat mich politisiert.“
Demonstrationen, Streiks – „Leute, die vier, fünf Jahre jünger sind als ich, haben so etwas gar nicht mehr erlebt“, sagt Schultz. „Die 1990er waren da Wüste.“ 2001 ist er nach Hamburg gezogen, denn im Rap „ging lange nichts an Hamburg vorbei“. Er war viel auf den Hamburger Rap-Bühnen, um besser zu werden. Wenn heute Rapper auf der Bühne „sexistischen Müll bringen, dann kann ich die zu 90 Prozent fertigmachen.“
Angefangen mit dem Rappen hat Schultz in Kassel weil er nicht stehenlassen wollte, was die Rapper dort bei den Battles von sich gaben. Abends in den Clubs hat er geübt, außerdem waren da die Demos, bei denen er seine „Skills mit dem Megaphon in der Hand“ ausgebildet hat. Und direkt erleben konnte, wie die Staatsmacht darauf reagiert: Da gibt es beispielsweise die Geschichte von der Demo vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin im August 2004. Die Polizei hat ihn vom Platz verwiesen und im Protokoll geschrieben: „Beschlagnahmt: 1 Din-A4-Blatt mit Schrifttext. Übergeben an: LKA“. Heute kann Schultz darüber lachen.
Ob er sonst den Eindruck hatte, dass ihn der Staatsschutz beobachten könnte? Naja, sagt Schultz. „Ich bin in der Sozialistischen Alternative organisiert. Die SAV wird schon vom Staatsschutz beobachtet. Aber wer wird das nicht?“ Der Staatsschutz, sagt Schultz, wüsste, dass wir in der SAV „keine Steinewerfer sind. Wir sind nicht gewalttätig, sondern setzen darauf, dass die Bewegung wächst“. Was damit anfangen könnte, dass sich andere Rapper mit Marx beschäftigen, wenn sie beim Freestylen auf Holger Burner reagieren wollen.
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