erzählte geschichte 3: Der Papagei, der ein Pinguin war
Ich hatte Besuch von einem Pinguin. Er nannte sich Mister Smith und hatte leider die Fähre in die Antarktis verpasst. Kann ja jedem mal passieren. Also habe ich ihm ein paar Eiswürfel in die Bettdecke gepackt und dann hat er hinter meiner Strandbar übernachtet.
„Weck mich bloß rechtzeitig!“, knurrte er vor dem Einschlafen und knüllte seinen Frack in den Kühlschrank.
Um sieben Uhr morgens habe ich ihn zum ersten Mal geweckt. „Ich bin noch sooo müde. Noch zehn Minuten“, brummelte er.
Na gut, also habe ich es zehn Minuten später wieder versucht. „Hau ab, du blöder Kronleuchterständer!“, beschimpfte er mich. Beim dritten Mal warf er sogar eine alte Angel nach mir. „Dann bleib doch liegen“, knurrte ich. Ich machte mir einen Becher Milch heiß und las in Ruhe die Zeitung.
„Du alter Idiot!“, kreischte er plötzlich hinter mir. „Wie soll ich denn jetzt die Fähre kriegen? Die fährt in zwanzig Minuten ab.“ „Du kannst ja zurückfliegen“, sagte ich. Aber er schrie zurück: „Pinguine können nicht fliegen, du Trottel mit Zackenrad.“ „Ich hab dich ein paarmal geweckt“, erinnerte ich ihn. „Du bringst mich auf die Palme“, brüllte er und ging wie eine Rakete in die Luft. Plötzlich saß er tatsächlich auf der Palme vor meiner Strandbar und schimpfte vor sich hin. Es war ein ziemliches Stück Arbeit, ihn von der Palme wieder runterzuholen. Ich musste mit Engelszungen auf ihn einreden.
Nett, wie ich nun mal bin, habe ich ihn zur Fähre gefahren. Aber alle Ampeln grinsten knallrot vor sich hin. Und je mehr Mister Smith sie beschimpfte, umso länger grinsten sie rot.
Es dauerte und dauerte, bis wir im Hafen waren. Mister Smith wurde gelb und grün und blau vor Wut und Ärger. Dann sahen wir die Fähre ganz klein am Horizont. Sie hatte pünktlich abgelegt.
„Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte Mister Smith kleinlaut. „Ich habe kein Gold für einen neuen Fahrschein.“ Ich schaute ihn an, so gelb und grün und blau, wie er war. „Du kannst bei mir bleiben“, sagte ich. „Als Papagei!“
Seither wohnt Mister Smith auf Starmoa und verteilt Erdnüsse an meine Gäste. Er ist wahrscheinlich der einzige Papagei mit Frack auf der Welt. Es ist ihm viel zu warm. Aber er hat was gelernt: Mit schlechter Laune kommt man nicht weit.
Ausgedacht und aufgeschrieben für den Märchenautomaten von Julia Lange (11 Jahre)
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