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Man muss ihn lieb haben

LOBHUDELEI Alfred Biolek hat im Fernsehen eine Lücke hinterlassen. Und Sandra Maischberger hat zum 80. Geburtstag von Alfred Biolek eine sehr liebe Hommage über und mit ihm gedreht (22.45, ARD)

VON JENS MÜLLER

Nur so ein paar Gedanken: dass er mit „alfredissimo“ den entscheidenden Schritt von der Kochsendung zur Kochshow tat und damit schuld an allen die TV-Landschaft bis heute verheerenden Küchenschlachten ist. Dass er mit „Boulevard Bio“ die wöchentliche Talkshow erfand, wie Sandra Maischberger recherchiert haben will, und deshalb auch verantwortlich ist für all die das Programm zerquasselnden, tagtäglichen Papageienrunden. Dass er Monty Python einst ins hiesige Fernsehen holte und damit Mario Barth erst möglich gemacht hat.

Böse Gedanken. Denn nichts, gar nichts auf der Welt war und ist einem Alfred Biolek fremder als der Zynismus und die Beschränktheit seiner Epigonen. Humor ist eine ernste Sache und der immer so scheinbar leicht parlierende Biolek hat seine Gäste und sein Publikum immer sehr ernst genommen. Dafür muss man ihn lieb haben. Im TV hinterlässt er eine Lücke.

Bio, der, leider, seit 2006 kein Fernsehen mehr macht, wird demnächst 80 und Sandra Maischberger und Hendrik Fritzler haben einen neunzigminütigen Porträtfilm über und mit Alfred Biolek gedreht. Ist das also kritisch, wenn mit Sandra Maischberger nun ausgerechnet diejenige Biolek porträtiert, die vor rund zehn Jahren, auf seinen ausdrücklichen Wunsch, seinen Sendeplatz am späten Dienstagabend in der ARD und seine Redaktion gleich mit übernommen hat? Jene Sandra Maischberger, deren (Neben-)Werk als große Staatsmänner wie Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker porträtierende TV-Dokumentaristin sich nicht unbedingt durch die besonders kritischen Nachfragen auszeichnet?

Was soll’s. Biolek hat sich verdient gemacht und hat Lobhudelei verdient. Und das offenbare Kalkül, dass man an den Empathiker Biolek wohl auch nur vermittels Empathie rankommt, geht tatsächlich auf.

Zum Beispiel sein Schwulsein. Das hat der von Rosa von Praunheim 1991 zwangsgeoutete Biolek immer strikt aus seinem öffentlichen Leben raushalten wollen. Jetzt läuft er, eingehakt bei einem Mann namens Keith, durch New York. Wir erfahren, dass er Keith vor 30 Jahren in der dortigen Schwulenszene kennenlernte. Dass Keith, der damals aussah wie Buddy Holly, sein erster langjähriger Lebensgefährte wurde. Dass er Keith später adoptierte.

Dafür dass Maischberger ihr Porträt mit der Ankündigung anfängt: „Den Star kennen wir – in diesem Film soll es um den Menschen Alfred Biolek gehen“, geht es danach doch recht chronologisch durch Bios Fernsehkarriere – von den „Tips für Autofahrer“ des gerade erst als ZDF-Justitiar Eingestellten über „Bio’s Bahnhof“, „eine Sendung, wie es sie davor und danach nicht gegeben hat“ (Maischberger), bis eben „alfredissimo“ und „Boulevard Bio“. Wie sollte man, also Maischberger, den Menschen auch davon lösen können, hat er doch gerade seine Neigung zum Beruf gemacht: „Diese Mischung aus Genuss und Disziplin!“

Maischberger, die kommentiert und im Film gelegentlich zu sehen ist, und Co-Autor Fritzler lassen auch Freunde und Weggefährten zu Wort kommen, Alice Schwarzer etwa. Sie zeichnen das Porträt eines Mannes, der immer nach vorne blickt und Unangenehmes konsequent ausblendet. Die Vorarbeit für ihren großen Coup gegen Ende: Alfred Biolek fährt mit ihnen dahin, wo er nie wieder hin wollte, wo kein Biolek je wieder war. Nach Tschechien, in seine Geburtsstadt, die einmal Freistadt hieß, aus der die Familie vertrieben wurde. Biolek blickt zurück, erfährt, dass der Vater in der berüchtigten Sudetendeutschen Partei war. Er besucht sein Elternhaus. In seinem alten Schlafzimmer schlafen wieder Kinder. Ganz am Ende, wieder in New York, wo Biolek so oft war wie in keiner anderen Stadt der Welt, wo er Familie hat, wo er trotzdem nicht hinziehen will. Bio im Grünen, umkreist von der Kamera. Maischberger zitiert aus Bios Lieblingsgedicht: Hermann Hesses „Stufen“. Denn mit Empathie kommt man auch an den Zuschauer ran.

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