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Angstlust als Performance-Motor

Der Musiktheaterabend „Mozart.Müzik“ von Susanne Frey stellt im Radialsystem eine deutsch-türkische Hochzeit nach: Westliches wie Östliches erscheint dabei als gleichermaßen dem Eheglück im Weg stehender Traditionsballast

Ein deutsches Mädchen, ein türkischer Junge. Mit linkisch von der Bühne baumelnden Füßen sitzen sie da und fantasieren ihre Hochzeit herbei. „Ich heirate im roten Puma Atacar“, schwärmt er. Sie: „Meine Hochzeitstorte muss mindestens zehn Stockwerke hoch sein.“ Die ausgedachte Hochzeitsnacht spielt sich ab zwischen rosa Marzipanrosen und Turnschuh-Geschenkbergen, Baklava-Marshmellows, Kutschenringbibelböreks und Kuchenkrümelschnauzern. Ein heiterer Tanz der Kulturen in Kindsköpfen.

Die wirkliche Hochzeit wird dann ein bisschen anders. Das Paar findet sich wieder zwischen erdrückenden Traditionen – und zwar gleich aus zwei verschiedenen, wie sagt man so unschön, Kulturkreisen. Die Rituale und Gepflogenheiten einer deutschen und einer türkischen Hochzeitsfeier krachen aufeinander.

Frau Metin schenkt 23 Lammhaxen, Herr Turgut 17 Hochlandziegen, von Frau Tauber kommen 10 Hummel-Porzellanfiguren. Von den türkischen Verwandten wird der Braut der schwere weiße Schleier vom Kopf gerissen und durch ein blutrotes Kopftuch ersetzt. Das lustige Blinde-Kuh-Spiel wird zur Demütigung, der Bräutigam danach von beschwingten Gästen genötigt, den Zopf der Braut mit einem Beil auf eine der Ehe angemessene Länge zu bringen. Nach all den Partyspielen wird der Walzer verlangt, dann hat der Bräutigam zum Beweis der vollzogenen Ehe mit einem roten Tuch in der Faust zum kurdischen Kreistanz zu schreiten.

Regisseurin Susanne Frey hat für diesen Clash aus deutschem und türkischem „Das macht man so“ eine multimediale Form gefunden und inszeniert ihn als einen Musiktheaterabend, der fast ein bisschen marthalersch daherkommt: Zwischen der Hochzeitsgesellschaft bewegen sich drei Tänzer, die auch mal singen, und drei Sänger, die auch mal tanzen. Im Hintergrund sitzt eine Kapelle: ein Pianist, ein Violinist, eine Klarinettistin, dazu Ud- und Tanbur-Spieler. Sie spielen im Wechsel klassische osmanische Konzertmusik, türkische Folklore – und Mozart. Bekannte Arien vor allem, aus der „Zauberflöte“, dem „Don Giovanni“ und der „Hochzeit des Figaro“.

Mozart? Warum gerade Mozart als Kontrastfolie zu Liedern aus Trabzon, Edirne und Bitlis? „Mozart hat sich sehr für türkische Musik interessiert“, sagt Susanne Frey. „Er hat Rhythmen und Melodien der Janitscharen-Kapellen verwendet. Seine Faszination für das Türkische speiste sich aus der Angstlust seiner Zeit: einerseits das Exotische des Orients, andererseits die Türken vor Wien. Das ist heute nicht unähnlich.“

Zum Glück entwickelt sich „Mozart.Müzik“ als wenig multikultiverliebtes, an vielen Stellen interpretationsoffenes performatives Ding. Die Tänzer schreiten den symbolischen Raum des Sich-Verstrickens in Schleier, Röcke, Fracks, Bandagen und Gefühle gekonnt, manchmal vielleicht ein wenig illustrativ ab. Auch die Effekte des Erwartungsdrucks werden mit Witz durchgespielt: Ermüdung, Ohnmacht, unkontrollierbare Zuckungen. Die Sänger bewegen sich gewandt zwischen Mozarts apollinischer Heiterkeit und der geschlenzten Schwere türkischer Volksmusik. Erstaunt beobachtet man, wie das mozartsche Dur schnell als hüllenhaft, hysterisch, ja gemeingefährlich erscheint.

Der gefühlte Authentizitätspersilschein der anatolischen Zigeunertonleiter kommt aber auch nicht angenehmer. Beides, das Manieriert-Aufgesetzte des „Westlichen“ und das Erdig-Atavistische des „Östlichen“, hat in dieser Inszenierung eine deutliche Tendenz: Als via Tradition verkaufter Wert an sich ist es ekelhaft. Nimmt dem Fest das Spielerische. Macht es zum Korsett, zum Besäufnis, zur Entjungferungszeremonie. Erst in der letzten Szene tut die Hochzeitsgesellschaft endlich das, was vielleicht von vornherein möglich gewesen wäre: Einfach miteinander tanzen.

KIRSTEN RIESSELMANN

„Mozart.Müzik“, heute (um 20 Uhr), morgen (um 18 Uhr), Radialsystem V, Holzmarktstr. 33; im Anschluss: Party mit DJane Ipek

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