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„Müssen Mappus nicht fragen“

SOLIDARITÄT Kippen die Südländer den Länderfinanzausgleich, könnte Bremen seine Verfassungsklage wiederaufnehmen oder eine neue einreichen, sagt die Finanzsenatorin

Interview ARMIN SIMON

taz: Frau Linnert, der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) hat angekündigt, die gemeinsam mit Bremen eingereichte Verfassungsklage gegen den Länderfinanzausgleich wieder aufzunehmen, wenn die Südländer diesen ebenfalls beklagen sollten …

Karoline Linnert, Bürgermeisterin und Finanzsenatorin (Grüne): Das habe ich gehört. Wir sprechen da mal drüber.

Klingt nicht so dringend.

Die Südländer können den Länderfinanzausgleich nicht einfach aufkündigen. Der gilt bis 2019. Es sei denn, das Gesetz wird vorher für verfassungswidrig erklärt oder es findet sich eine Mehrheit für ein neues Gesetz.

Ausgeschlossen ist eine Wiederaufnahme der Klage also nicht?

Bremen hat sich verpflichtet, die Klage zurückzuziehen, wenn die Verwaltungsvereinbarung über die 2,7 Milliarden Euro Konsolidierungshilfe von Bund und Ländern unterzeichnet ist. An diese Zusage fühle ich mich gebunden. In jedem Fall müsste man sich erst einmal angucken, was denn in der angekündigten Klage der Südländer steht. Und dann gegebenenfalls mit einer neuen eigenen Klage darauf reagieren.

Die Südländer könnten tatsächlich klagen, obwohl sie den aktuellen Länderfinanzausgleich mit ausgehandelt haben?

Das war in Bremen ja auch nicht viel anders. Die große Koalition hat dem Maßstäbegesetz, der Basis für den jetzigen Länderfinanzausgleich, damals zugestimmt. Und dann, unter anderem auf grünes Drängen hin, die Klage vorbereitet.

Die Förderalismusreformkommission endete 2009 mit einem Kompromiss.

Ja. Es gibt die Schuldenbremse: Im Jahr 2020 sollen die Länder Neuverschuldung auskommen. Die Länder wie Bremen, die das aus eigener Kraft nicht erreichen können, bekommen Hilfen. Für Bremen sind das 300 Millionen Euro pro Jahr, die 2011 zum ersten Mal fließen sollen. Baden-Württemberg war übrigens federführend bei der Ausarbeitung dieses Kompromisses, der unter den Bedingungen des bestehenden Finanzausgleichs ausgehandelt wurde.

Mappus ist nicht der erste, der den wieder in Frage stellt. Sind das nur Rambosprüche, die im Wahlkampf nützen sollen?

Entsolidarisierungsgetöse muss man immer ernst nehmen. Der Staat in Bremen ist arm. Wir leben nach wie vor in einer strukturschwachen Region. Entsolidarisierung ist gefährlich für uns.

Auch im Sozialsystem ist Solidarität nicht mehr in. Was heißt das für das Gemeinwesen?

In der Verfassung steht, dass in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen sollen. Das ist auch im Interesse der Reichen. Die Baden-Württemberger schicken auch gerne ihre Abiturienten auf unsere Hochschulen. Soll es das nicht mehr geben? Die haben ein Interesse daran, dass wir unsere Häfen in Schuss halten können. Für kluge Menschen gibt es einen Anreiz, dass es allen gut geht.

Mappus argumentiert doch ähnlich, wenn er darauf hinweist, dass es in Baden-Württemberg keine kostenlosen Kitaplätze gibt, in manchen Nehmerländern aber schon.

Der Länderfinanzausgleich ist ein gesetzlich geregelter Anspruch. Mit ihm geht nicht einher, dass diejenigen, die das Geld geben, auch bestimmen dürfen, was damit geschieht. Das ist übrigens nie so. Die Haushaltshoheit des Parlaments darf nicht eingeschränkt werden. Wir sind ein eigenes Bundesland. Wir haben kein Parlament zweiter Klasse, das erstmal Herrn Mappus fragen muss, was es mit dem Geld machen darf.

Für den Fall, dass die bis 2019 geltenden Regelungen des Länderfinanzausgleichs in Frage gestellt werden, hat Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) angekündigt, „geeignete Gegenmaßnahmen“ zu ergreifen. Welche?

Die Schuldenbremse steht in der Verfassung. Aber unsere Geschäftsgrundlage dafür ist unter anderem der Länderfinanzausgleich. Wenn der entfällt, werden wir das Ziel, 2020 keine Schulden mehr zu machen, nicht schaffen können.

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