: Flüchtlinge gehen und bleiben
ENDE Die besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg wird teilgeräumt. 900 Polizisten riegeln das Gebiet ab. Angebot des Bezirks und Senats: Wer geht, bekommt eine andere Bleibe
FLÜCHTLING AUS DEM SUDAN
AUS BERLIN M. GÜRGEN, A. LANG-LENDORFF UND M. MAYR
In Berlin-Kreuzberg hat am Dienstag die Räumung der von Flüchtlingen besetzten Schule begonnen. Die Polizei rückte am Vormittag laut eigenen Angaben mit 900 Beamten an und riegelte die angrenzenden Straßen ab. Vertreter des grün regierten Bezirksamts gingen in der Schule von Tür zu Tür, um die Bewohner von einem Umzug zu überzeugen. Sie sollten in Unterkünfte in anderen Stadtteilen gebracht werden. Vor allem Familien aus Rumänien und Bulgarien verließen daraufhin das Gebäude. Andere wollten bleiben. Einzelne Flüchtlinge drohten mit Suizid, sollten sie gewaltsam aus der Schule geholt werden. Ob der Bezirk es zu einer polizeilichen Räumung kommen lassen würde, war am Nachmittag noch unklar.
In dem besetzten Gebäude leben seit Ende 2012 rund 200 Menschen, darunter viele Flüchtlinge aus Afrika, aber auch Roma-Familien und Obdachlose. Die Grünen duldeten die Besetzung lange, zahlten Strom und Heizung. Allerdings reichten Duschen und Toiletten nicht aus. Die Menschen lebten teils in überfüllten Zimmern und Müll. Anwohner klagten über die steigende Zahl der Dealer im nahe gelegenen Görlitzer Park. Immer wieder kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen unter den Flüchtlingen. Die Polizei musste zu mehr als 100 Einsätzen ausrücken. Ende April wurde ein 29-jähriger Marokkaner von einem Mitbewohner erstochen – weil sie sich um die Dusche gestritten hatten.
Der Bezirk geriet in die Kritik, er habe die Bewohner sich selbst überlassen. Die grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann will die Schule zwar zu einem legalen Flüchtlingsheim mit zahlreichen Beratungsangeboten umbauen. Doch dafür müssten die meisten Bewohner das Gebäude zunächst verlassen. Das lehnen viele ab.
Das Angebot von Bezirk und Senat vom Dienstag: Wer freiwillig gehe, bekomme eine Unterkunft sowie eine umfassende Einzelfallprüfung, bestätigte eine Sprecherin der Sozialverwaltung. Für alle, die bleiben wollten, gelte das nicht. Ein Flüchtling sagte: „Wir gehen hier nicht raus.“ Zehn Flüchtlinge kletterten auf das Dach der Schule – offenbar um mit dem Sprung in den Abgrund zu drohen. Ein Flüchtling aus dem Sudan sagte: „Ich sterbe lieber, als dass ich zurück in ein Lager gehe.“
Sollten die Grünen die Flüchtlinge mit der Polizei aus dem Haus holen, müssten sie sich Wortbruch vorwerfen lassen. „Der Bezirk räumt nicht“, hatte ein Sprecher des Bezirks Ende vergangener Woche noch zur taz gesagt. „Wenn hier Menschen ausziehen, dann freiwillig.“
Mehrere hundert Unterstützer protestierten am Dienstag lautstark gegen eine Räumung. Etwa 25 Personen ließen sich für eine Sitzblockade vor dem Eingang nieder, sie wurden weggetragen. Presse wurde nicht hineingelassen. Auch die Feuerwehr rückte an, da im Gebäude Benzin ausgeschüttet worden war.
Kurt Wansner, CDU-Abgeordneter aus Friedrichshain-Kreuzberg, dankte schon mal Berlins Innensenator: Frank Henkel habe mit „seiner klaren und lösungsorientierten Linie die unhaltbaren Zustände“ beendet.
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