piwik no script img

Die Flammen sind nachkoloriert

RETROSPEKTIVE Die Reihe „Der globale Krieg. Der Erste Weltkrieg und das Kino“ im Zeughauskino präsentiert Wiederentdeckungen und selten gezeigte kanonisierte Filme über die Welt im Krieg

William A. Wellman lässt es richtig krachen, fährt auf, was die Technik erlaubte

Staub. Endlose Soldatenkolonnen ziehen über eine staubige Landstraße. Eine Szene später bleiben die Stiefel schon im Schlamm stecken. Vom Staub zum Schlamm. Liviu Ciuleis „Padurea spânzuratilor“ („Der Wald der Gehenkten“) erzählt vom Schlamm. Dem Schlamm der rumänischen Front im Ersten Weltkrieg, bevölkert von Hadernden, in den Krieg Geworfenen, Schauplatz von Hinrichtungen, bei denen der Verurteilte fragt, ob er er bitte schneller sterben könne. Ciuleis 1965 in Cannes prämierter Film ist nur eine der Entdeckungen unter den über 40 Filmen zum Ersten Weltkrieg, die das Zeughauskino ab dem 1. Juli zeigen wird.

Spektakulär sind die Entdeckungen vor allem dort, wo sie gegen die Gewohnheiten des Jubiläumsjahres arbeiten: Holger-Madsens „Ned med våbnene!“ („Die Waffen nieder!“) entstand in dem Sommer, in dem der Krieg begann. Die Filmbilder von abfahrenden Soldaten und von Verwundeten in einem Stall müssen gespenstisch gewirkt haben, als der Film 1915 anlief. Der Film macht deutlich, wie wenig prophetische Kraft es zur Vorhersage eines Krieges brauchte; zugleich wird erkennbar, wie unvorstellbar das industrialisierte massenhafte Sterben gewesen sein muss. Wie die Behandlung der Verwundeten im Ersten Weltkrieg aussah, zeigt der kurze Film „Scottish Women’s Hospital“ (1917), es geht darin um ein von Suffragetten betriebenes Hospital: die Krankenschwestern klatschen den Verwundeten Essen aus einem Eimer auf den Teller.

Neben Wiederentdeckungen wie dem 1927 entstandenen „Pour la paix du monde“ („Für den Weltfrieden“) oder Boris Barnets viel zu selten gezeigtem „Okraina“ („Vorstadt“ ) versammelt die Retrospektive viele kanonisierte, zugleich aber rare Filme. „All Quiet on the Western Front“ („Im Westen nichts Neues“) läuft sogar gleich in englischer und deutscher Fassung, ergänzt um eine weitere Remarque-Verfilmung „The Road Back“ – eine Art Fortsetzung im Roman wie im Film. Jean Renoirs bildgewaltige Farce „La grande illusion“ ist zu sehen, „The Life and Death of Colonel Blimp“ von Michael Powell und Emeric Pressburger und nicht zuletzt William A. Wellmans technisch spektakulärer „Wings“. Hätte Jerry Bruckheimer in den 1920er Jahren gelebt, „Wings“ wäre sein „Top Gun“ gewesen. Der sonst oft als bescheidener Studioroutinier wahrgenommene Wellman lässt es darin so richtig krachen, fährt auf, was die Technik erlaubte, zeigt jede Menge Flugszenen und lässt noch die Flammen, die aus den abgeschossenen Flugzeugen züngeln, nachkolorieren.

Daneben stehen Filme wie „Lawrence of Arabia“, deren Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg erst in einer Reihe wie dieser wieder so recht deutlich wird. Hier löst die Reihe das Versprechen ihres Titels ein, den „globalen Krieg“ zu zeigen. Dabei wird auch deutlich, wie dominant die europäische und amerikanische mediale Vorherrschaft war. Vom Krieg in den Kolonien, den zeitgleich stattfindenden Kämpfen in Ostasien, gibt es eben nur Bilder, die – wie in Herbert Selpins „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“ – der kolonialen Imagination entsprungen sind. Nicht umsonst ist Philipp Scheffners „The Halfmoon Files“ auch ein Dokumentarfilm darüber, wie schwer es ist, dem medial etwas entgegenzusetzen. Ausgangspunkt des Films war der Fund von Tonaufzeichnungen aus einem Kriegsgefangenenlager nahe Berlin.

Scheffner begibt sich auf die Suche nach einem der Männer, deren Stimmen aufgenommen wurden, dem Inder Mall Singh, der im Punjab in die britische Armee eintrat und wenig später in Europa in einem Kriegsgefangenenlager landete. Mit dieser Suche nach der Person hinter der Stimme konterkariert der Film die Intention der Sprachforscher.

Auch „The Halfmoon Files“ gewinnt in der Zusammenschau mit den anderen Filmen der Reihe, ergibt sich doch ein Panorama der deutschen, europäischen, amerikanischen Welt im und nach dem Weltkrieg. Für das Deutschland des Ersten Weltkriegs findet sich ein treffendes Bild in G.W. Pabsts „Westfront 1918“: Der Soldat Karl wird nach einem Angriff „Hurra!“ schreiend ins Lazarett getragen. Nach wenigen Metern im Lazarett wechselt er den Ruf. „Disziplin!“

FABIAN TIETKE

■ „Der globale Krieg. Der Erste Weltkrieg und das Kino“: Zeughauskino, 1. 7.–31. 8.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen