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NormalzeitHELMUT HÖGE über das Fading Away der Arbeiterklasse

„Die letzte Schicht gewinnen wir!“ (Aus einem alten Kampflied)

An der Ruhr-Universität Bochum hat kürzlich Vinzenz Hediger, der dort zuvor schon über Tierfilme geforscht hatte, die erste Professur für Industrie- und Arbeiterfilme bekommen. Fast gleichzeitig fingen einige öffentliche Institutionen an, ein Archiv für Arbeiterfilme aufzubauen. Daneben schrieb die Bundeskulturstiftung einen Wettbewerb über „Arbeit“ für alle Kunstsparten aus. Unter anderem wird nun dem Regensburger Kommunalkino eine Reihe mit Arbeiterfilmen gefördert.

In Hannover lief bereits eine solche, moderiert von Oskar Negt und Christian Ziewer. Ziewer drehte 1971 den ersten neudeutschen Arbeiterfilm, „Liebe Mutter, mir geht es gut!“ Zum klassengemäßen Vertrieb dieses Films entstand damals in Westberlin der „Basis-Filmverleih“, der sich heute jedes Mal sagen lassen muss: „Wen wollt ihr damit hinterm Ofen hervorlocken?“, wenn er einen Arbeiterfilm in seinen Vertrieb aufnimmt.

Ein 2005 in die Kinos gekommener Arbeiterfilm von Michael Glawogger deutete bereits im Titel an, dass diesem Genre hierzulande ein ähnliches Schicksal wie der DDR blüht – nämlich ein abgeschlossenes Forschungsgebiet zu sein. Der Film hieß: „Workingsman’s Death“. Darin geht es um die elendsten Arbeitsbedingungen weltweit. Er beginnt mit ukrainischen Bergarbeitern, die stillgelegte Kohlegruben auf eigene Faust ausbeuten, und endet in Duisburg, wo man aus einem Stahlwerk ein Einkaufscenter machte. Der Regisseur wollte damit „den Arbeiter zum Helden machen, ohne dass ich [noch] etwas von ihm will“.

Mehr Wirkung hatte der in Tansania gedrehte Dokumentarfilm „Darwins Alptraum“ von Hubert Sauper, in dem es um die dortige Fischindustrie geht, die Victoriabarschfilets für Europa produziert – und deren Arbeiter nur Gräten zu essen kriegen. Um die Agrarindustrie weltweit ging es 2006 Erwin Wagenhofer mit seinem Film „We feed the world“. Die Wochenzeitung Die Zeit verglich ihn mit dem „Dokumentarfilmklassiker „Septemberweizen“ (1980) von Peter Krieg und erwähnte auch gleich noch einen weiteren: „Unser täglich Brot“ von Nikolaus Geyrhalter. „Je härter die Zeiten, desto mehr haben Dokumentarfilme wieder Konjunktur“, meinte die Rezensentin dazu.

Als kürzlich im Kreuzberger Club Kato der Film „Die letzten Feuer“ über die militanten Arbeitskämpfe 1969/70 im Industrieviertel von Venedig lief, meinte einer der Veranstalter aus dem Wildcat-Kollektiv: „Das war nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas Neuem.“ Damals gingen aus diesen Auseinandersetzungen die „Autonomia“ und der „Operaismus“ hervor sowie die Organisationen Potere Operaio und Lotta Continua. Die Wildcat-Leute touren mit der Doku nun zwischen Palermo und Poznan, gedreht hat ihn die Venezianerin Manuela Pellarin, das Geld kam u. a. vom Oberbürgermeister Venedigs, der selbst einst Arbeiter in Porto Marghera war.

In der anschließenden Diskussion im Kato stellte man fest, dass es zwar hier und heute wieder viele Arbeitskämpfe in Betrieben, von Studenten, Schülern und Ärzten gebe, sogar mit steigender Tendenz: 2006 immerhin so viele wie seit 1992 nicht mehr, „aber die Kämpfe kommen nicht zusammen“. Abwehrkämpfe seien das. Es sterbe „jeder Betrieb für sich allein“, so ein Aktivist des gerade beendeten Streiks beim Spandauer Bosch-Siemens-Haushaltsgerätewerk (BSH), der gegenüber den Wildcat-Mitarbeitern mangelnde Solidarität sogar der nächstgelegenden Betriebe beklagte. Eine Ausnahme bildete die Belegschaft des gerade von einem indischen Konzern übernommenen EKO-Stahlwerks in Eisenhüttenstadt, die die BSH-Streikenden per Bus besucht hatte.

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