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Vom Glück im Garten

STADT-THEATER In seinem klug arrangierten Dokumentarstück „Willi Tell – Die Axt von Altona“ verlegt das freie Duo Die Azubis Friedrich Schillers Drama nach Bahrenfeld – an die Autobahn

VON FRANK KEIL

Eine Armbrust hat Willi Tell nicht, sondern eine Axt mit langem Stiel und einem eisernen Kopf von mindestens einem Kilo. Man hofft, dass er sie nur zum Holzspalten benutzen wird, für Kaminholz etwa – und nicht für etwas anderes, einen Kopf vielleicht. Denn Willi Tell ist aufgebracht, empört, einfach sauer. Dabei will er eigentlich nur in Ruhe in seinem Schrebergarten sitzen: grillen, den Vögeln lauschen, zwischendurch vielleicht ein paar Beeren von den Sträuchern pflücken, sich dann wieder hinsetzen und weitergrillen und sein Schrebergartendasein genießen.

Doch da ist Gessler, der Abgesandte der Stadt, der an seiner Gartenpforte steht, in seiner sportlichen Jeans zum legeren Jackett. Gessler will, dass Willi geht, dass er seinen Garten räumt und ihm übergibt. Klar, auch er kann verstehen, dass Willi Tell an seinem Kleingarten hängt, aber es ist nun mal wie es ist: Die Stadt hat die Schrebergartenfläche verkauft und damit Willi Tells Garten, den dieser nur gepachtet hat.

Willi Tells Schweiz, für deren Freiheit er im Friedrich-Schiller-Stück die Armbrust zückt, verlegt das freie Künstlerkollektiv Die Azubis in seinem Stück „Willi Tell – Die Axt von Altona“ nach Bahrenfeld, an den Rand der Autobahn mit der Abkürzung A 7. Die soll überdeckelt werden und auf einer Länge von 3,5 Kilometer in einer Art Tunnel verschwinden, aus Lärmschutzgründen, damit Platz gewonnen werden kann – auch für Wohnungen. Um Verkehrs- und Stadtplanung geht es im gemeinsam mit dem Bahrenfelder Lichthof-Theater produzierten Stück; um Investitionen und sehr viel Geld geht es; um Gentrifizierung und um das Glück des Einzelnen.

Und weil dafür die Orte wichtig sind, die Autobahn mit ihrem Lärm, Willis Kleingarten in einer anarchisch anmutenden Kleingartenanlage, trifft man sich für den ersten Akt an der A 7, hinter begrünten Lärmschutzwänden. Man geht los, jeder Besucher mit einem Kopfhörer ausgestattet, um zu hören, wie zwei Bürgerinitiativen aufeinandertreffen: Die eine ist gegen den Lärm und für den Deckel; die andere gegen den Deckel, weil für ihre Gärten. So geht es durch den Stadtteil, bis zu Willis Garten, wo Gessler sich allen in den Weg stellt.

Zwischen den Akten steigt man ins Taxi, fährt ins Lichthof-Theater, wo der zweite Teil ganz klassisch mit Bühne und Lichtanlage ausgetragen wird. Zwar ist diese Fahrt schlicht eine logistische Notwendigkeit – zu Fuß wäre der Weg zu weit –, aber es passt zugleich bestens zum Stück und der Atmosphäre, in die man eingetaucht ist. Denn nun brettert der Taxifahrer im Höllentempo durch Bahrenfeld, aus dem Autoradio ertönt unerträglich gut gelaunte Popmusik und Werbung, die irgendwas von einem Super-Samba-Sommer herausbrüllt.

Da ist sie also wieder, diese Welt des Schnellen, des Ruppigen, des angeblich Effektiven; eine Welt, die Willi Tell nicht mag – aber diese Welt mag Willi Tell ja auch nicht. Und während der Fahrer, der vermutlich nicht weiß, dass er jetzt für eine Fahrt lang Schauspieler ist, auf sein Navi schaut, flott Gas gibt, schmecken die Zahlen, die wir eben gehört haben, noch mal besonders schal: Als die Autobahn bei Bahrenfeld samt Elbtunnel 1975 gebaut wurde, erwartete man ein tägliches Verkehrsaufkommen von 35.000 Autos. Aktuell sind es 152.000 Fahrzeuge. In ein paar Jahren sollen es dann schon 165.000 sein.

Einfache Lösungen bietet das Stück nicht an. Es schlägt sich nicht einfach auf die Seite von Willi, den Johannes Nehlsen ganz wunderbar körperlich spielt. Auch Gegenstimmen kommen zu Wort. Die Vernunft lässt ihre glatten Argumente glänzen, eine Hamburger Fischfrau als Handpuppe versucht die Wogen zu glätten. Dazu gibt es eindringliche Tanzeinlagen von Nicole Baumann. So switcht das Stück zwischen Doku-Theater und klassischem Lehrstück, klug arrangiert von Christopher Weiß von Die Azubis.

Und als wir das Theater wieder verlassen, sind wir sicher: Wenn wir in den nächsten Monaten durch Bahrenfeld gehen oder fahren und dann und wann auch die noch nicht gedeckelte Autobahn benutzen: Irgendwo steht da Willi Tell, steht da mit seiner Axt, wütend und aufgebracht, und will doch nur, dass man ihm seinen Garten lässt. Weil das der Ort ist, wo er ganz aufgehoben und glücklich ist – und wer will das nicht sein.

PS: Der Autor kann sich übrigens vorstellen, wie Willi Tell fühlt: Auch er hat einen Kleingarten.

■ Nächste Aufführungen: Sa, 28. 6., und So, 29. 6., Lichthof- Theater. Weitere Aufführungen am 30. und 31. 8.

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