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Im Netz zappeln wieder dicke Fische

taz-Serie „Boom 2.0“ (Teil 1): Unter dem Slogan „Web 2.0“ feiert die Internetbranche eine Renaissance. Viele Überlebende des ersten Crashs sind wieder dick im Geschäft. Doch statt wahllos fremdes Geld zu verpulvern, setzen sie auf ihre Fachkompetenz

VON NINA APIN

„Aber selbstverständlich haben wir einen Kicker“, sagt Nurhan Yildirim. Die Gesellschafterin und Gründerin der Internetfirma Neofonie freut sich, in ihrem Büro mit ein paar New-Economy-Klischees aufwarten zu können. Sie zeigt den „Wellnessbereich“ mit Sofaecke und Weihnachtsbaum und eine Kabine, in der ein gigantischer Server brummt: „unser Herz“. Der Technikturm ist das einzig greifbare Symbol für die abstrakten Produkte, die Neofonie herstellt: Suchmaschinen, mittels derer Kunden Firmenwebsites und Portale nach Informationen durchsuchen können.

Doch auch wenn Yildirim mit Jeans und Sweatshirt aussieht wie eine Studentin und hinter einer der Glastüren ein Labrador lagert: Neofonie ist keine coole Internetklitsche, sondern ein mittelständisches Unternehmen auf Expansionskurs. Seit der Ausgründung aus der Technischen Universität (TU) im Jahr 1998 wuchs das Unternehmen auf 90 Mitarbeiter. 2005 machte es mehr als 5 Millionen Euro Umsatz.

Neofonie ist eine der wenigen Berliner Firmen, die das Platzen der Internetblase nach dem Jahr 2000 überlebt haben. Spektakulärere Neugründungen – etwa die Internetagentur Kabel New Media – gingen damals ebenso spektakulär pleite. Andere, wie der Multimediadienstleister Pixelpark oder das Meinungsportal Dooyoo überlebten nur nach schmerzhaften Häutungen. An die vielen verlorenen Weggefährten der ersten Gründerzeit erinnert bei Neofonie ein Reliquienschrein, in dem ein schwarzes „Dotcomtod“-T-Shirt liegt: Die Website dotcomtod.com vermeldete zwischen 2001 und 2004 sämtliche Pleiten der New Economy.

Dass Neofonie vom Zusammenbruch des Neuen Marktes nicht mehr als ein paar Dellen in der Auftragslage davongetragen hat, ist mehr als reines Glück, finden die Gründer. „Wenn wir in der Zeit der New Economy wie Betriebswirtschaftler gedacht hätten, wären wir auch baden gegangen“, ist der zweite Gesellschafter Helmut Hoffer von Ankershoffen überzeugt. „Wir waren immer in erster Linie Informatiker und dann Unternehmer“, bestätigt Nurhan Yildirim.

Die Entwickler ernten Ruhm in Fachkreisen

Neofonie entstand nicht, wie so viele Start-ups, als Geschäftsidee in einem Berliner Wohnzimmer, sondern aus einem universitären Drittmittelprojekt der TU. Für den Verlag Gruner + Jahr entwickelten die Informatikstudenten die erste deutsche Suchmaschine Fireball mit integrierter Spracherkennung, später die ebenso erfolgreiche Mediensuchmaschine Paperball. Während Gruner + Jahr Millionen an den Rechten verdiente, blieb den jungen Entwicklern nur der Ruhm in Fachkreisen.

Den nutzten sie für die Gründung einer eigenen Firma – und vermieden dabei alle Fehler, die junge Start-ups damals sonst machten: Statt Kredite oder Venture-Capital aufzunehmen, liehen sie sich das Startkapital von Verwandten zusammen. Noch im selben Jahr konnten sie es zurückzahlen. Statt sich am Erfolg zu berauschen, glamouröse Partys zu feiern und besinnungslos in alle Himmelsrichtungen zu expandieren, blieben Yildirim, Hoffer von Ankershoffen und ihr damaliger Mitgesellschafter Oli Kai Paulus auf dem Teppich. Sie reinvestierten stets einen Teil ihres Gewinns in die Entwicklung eigener Produkte.

„Natürlich wunderte man sich damals schon, wenn die ‚Jamba‘-Gründer mit ihren Porsches vorbeifuhren“, erinnert sich Hoffer von Ankershoffen, „aber die ganze Goldgräberstimmung ließ uns kalt. Wir wollten nicht reich sein, sondern gut.“ Nur einmal kamen die bodenständigen Informatiker in Versuchung, als ein millionenschwerer Suchmaschinenhersteller ihnen viel Geld für eine Mehrheitsbeteiligung bot. Dass sie schließlich „aus romantischen Gründen“ ablehnten, haben sie nie bereut. „Die wollten nur unseren Markt. Aber wir wollten weiterforschen“, sagt Yildirim und schiebt das Kinn vor. „Ich wollte nie einen Porsche.“ Millionäre sind die beiden 33-jährigen Unternehmer immer noch nicht. Dafür müssen sie jetzt nicht mehr die Nächte durcharbeiten und haben auch ein Leben außerhalb der Firma. Die hat eine nahezu traumhafte Position erreicht: Der nächstgrößere Mitbewerber sitzt in Norwegen, in Deutschland gibt es für die Suchmaschinentüftler keine ernstzunehmende Konkurrenz.

Dass die Internetbranche seit zwei Jahren wieder wächst, beobachten die Neofonie-Entscheider gelassen. Von einem neuen Internetboom zu sprechen, halten sie aber für verfrüht. Nur die wenigsten Geschäftsideen, die derzeit unter dem Etikett „Web 2.0“ auf den Markt drängen, werden überleben, prophezeien die alten Hasen im Geschäft. „Mit einer guten Idee reich zu werden, ist nicht mehr so einfach wie damals“, sagt Yildirim. „Der Markt hat sich professionalisiert. Bei den Auftraggebern zählen große Versprechen nicht mehr, nur noch reale Größen wie Personalstärke, Erfahrung und und Know-how.“

Diese Einschätzung teilt auch Michael Stamm von der Technologiestiftung Innovationszentrum Berlin. Er berät Gründer und Unternehmen in der Internetbranche. Inzwischen ist die Katerstimmung in der Branche vorbei, seine Sprechstunden sind immer voll. „Lukrativ ist Internettechnologie besonders in seriösen Branchen wie Gesundheitswesen und E-Government“, beobachtet Stamm. Das heißt, dass die neue Supertechnik gerade in den uncoolsten, staubigsten Branchen am gefragtesten ist: bei der Patientendatenerfassung in Krankenhäusern etwa und zur Unterstützung der Abläufe in der staatlichen Verwaltung. Auch Firmen, die mit dem Vertrieb von Waren über das Internet ihr Geld verdienen, stehen gut da, was die Erfolgsgeschichte von Ebay und das Überleben des Portals Immobilienscout zeigen.

Ansturm der Hausfrauen und Hartz-IV-Empfänger

Doch auch die Kleinen trauen sich wieder mit neuen Geschäftsideen ins Netz. Immer mehr Hartz-IV-Empfänger, Pensionäre und Hausfrauen kommen mit ihren Ideen für Kleinstunternehmen zu Stamm. Schinken aus der Toskana oder selbstgemachten Senf vertreiben, ein Netzwerk von Handarbeitsfreunden aufziehen – im Gegensatz zu den Gründerjahren 1999/2000 klappt so etwas auch ohne dickes Gründerkapital. Die passenden Oberflächen für einen Internetshop mit Bezahlsystem sind ohne Programmierkenntnisse und Spezialtechnologie für jedermann verfügbar.

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