: Was davor geschah
FERNSEHEN Ein Darsteller schläft im Gästebett des Regisseurs, den Kommissar holt seine kriminelle Vergangenheit ein. Am Sonntag läuft der Polizeiruf „Feindbild“. Das Tagebuch einer Produktion
■ Die Figuren: Die LKA-Profilerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Hauptkommissar Alexander Bukow (Charly Hübner) sind Kollegen und Gegenspieler zugleich. Denn König ermittelt gegen den undurchsichtigen Bukow, der es – so der Verdacht – mit dem Gesetz nicht immer so genau nimmt. Das Verhältnis der beiden, zentrales Element der Filme, ist daher angespannt, aber nicht frei von Sympathie – und erotischer Spannung.
■ Die Reihe: Der „Polizeiruf 110“ ist 1971 als DDR-Antwort auf den „Tatort“ gestartet. Seit 1993 führen mehrere ARD-Anstalten die Reihe fort. Der NDR hat 2010 seine Schweriner Ermittler Hinrichs (Uwe Steimle) und Tellheim (Felix Eitner) durch das Rostocker Duo ersetzt. Mit Erfolg: Den ersten Fall „Einer von uns“ sahen 8,32 Millionen, den zweiten Fall „Aquarius“ 7,21 Millionen Zuschauer. „Feindbild“ (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) ist ihr dritter Film.
VON DAVID DENK
13. Juli 2010, Hamburg
„Der Hausmeister fehlt mir nicht“, sagt die Redakteurin. – „Geht mir auch so“, bekräftigt die Produzentin. Daniela Mussgiller und Iris Kiefer sind zufrieden: Wieder etwas Zeit gewonnen. 90 Minuten Sendezeit hat ein „Polizeiruf“ – eigentlich höchstens 88:30 –, und das Drehbuch zu „Feindbild“ ist noch zu lang. Um das Skript zu entschlacken, sitzen sie hier in Raum 2122 beim NDR in Lokstedt um den ovalen Konferenztisch bei Franzbrötchen, Obst und Kaffee: Redakteurin Mussgiller, Produzentin Kiefer, die Producerin Ilka Förster und Eoin Moore, der Regisseur und Drehbuchautor. Die Hauptdarsteller Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau sind schon weg, auf dem Boden steht noch der Napf für Sarnaus Hund Sailor.
Die Redakteurin findet, dass Moore bei der Figur Subocek, dem serbischen Oberbösewicht in „Feindbild“, noch zu dick aufgetragen habe. „So, wie ich das lese, finde ich den nicht gefährlich“, sagt Mussgiller, „weniger Worte, mehr Gesten, mehr Andeutungen.“ Moore tippt in sein Macbook. Die Glaubwürdigkeit der Figuren, ihrer Motive und Handlungen ein letztes Mal abzuklopfen, ist der zweite Grund für die Zusammenkunft. Die Änderungen wird Moore später ins Drehbuch einflechten. „Neue Fassungen werden auf gelbes Papier gedruckt“, erklärt er. Die werden an die Schauspieler verschickt, die sich parallel schon vorbereiten. In vier Wochen beginnen die Dreharbeiten.
Es ist ein komplizierter Fall um die kriminellen Praktiken eines Pharmakonzerns und den Versuch eines Vaters, den Tod seiner Tochter zu rächen. Sie starb an einem Impfstoff der Firma. Im Laufe der Ermittlungen werden Verbindungen in die dubiose Vergangenheit des Hauptkommissars Bukow, gespielt von Charly Hübner, sichtbar.
Es sei den Schauspielern nicht recht, wenn die Presse dabei sei, hieß es vor der Drehbuchbesprechung. Dies ist der zweite Versuch, die Entstehung eines Rostocker „Polizeirufs“ zu begleiten, der erste schlug fehl. Offenbar nehmen Krimimacher das verschlagene, blutsaugende Journalistenimage, das ihre Filme allzu oft propagieren, sehr ernst. Dabei kommt die Presse in Frieden, zumindest diesmal, wirklich.
4. August 2010, Hamburg
Eoin Moore hasst Tage wie diese. Es ist zwar erst acht Uhr früh, aber er weiß es schon jetzt. „Der späte Wurm entkommt dem frühen Vogel“, steht auf seinem T-Shirt. „Technische Motivbesichtigungen wären ein Grund, den Job aufzugeben“, sagt Moore und steigt trotzdem in den Kleinbus. Hilft ja alles nichts: „Vertrauen ist gut, Überprüfung ist besser.“ Ganz schön eingedeutscht dieser Ire, der 1988 wegen einer Frau nach Deutschland kam und blieb. Moore, ein chronisch verstrubbelter 42-Jähriger, jobbte zunächst als Gärtner und als Tonmann, ab 1991 studierte er Regie an der dffb, der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Bevor er sich dem Fernsehen zuwendete, drehte er Kinofilme wie „Pigs Will Fly“ und „Im Schwitzkasten“.
Vorne auf dem Beifahrersitz telefoniert der Motivaufnahmeleiter seine Kontaktnummern ab, um sicherzugehen, dass die Filmleute nicht vor verschlossenen Türen stehen. Zwischen 500 und 5.000 Euro zahlen Produktionsfirmen Motivgebern pro Drehtag – je nach Größe, Ausstattung und Verdienstausfall.
Bis 18.30 Uhr ist der Tag straff durchgetaktet: Raus ausm Auto, gucken, wieder rein, fahren, raus, gucken, rein – vier Tage dauert dieses Spiel für Moore. Am Tag zuvor haben sie in Rostock die Motive ausgewählt. 18 von 23 Tagen wird das Team wie immer in Hamburg drehen, wo der NDR sitzt und damit die nötige Infrastruktur und qualifiziertes Personal. Alles in Rostock zu drehen würde mindestens 200.000 Euro mehr kosten – angesichts eines Gesamtbudgets von knapp 1,5 Millionen Euro pro Film kann und will der Sender sich das nicht leisten.
Und so wird das Zentrallager eines Duty-free-Shop-Betreibers zum Sitz der fiktiven Firma Geiger Pharma. Der Pragmatismus von Szenenbildner Florian Langmaack erstaunt. Hier „eine schicke Apple-Tastatur“ für das Chefbüro, da das Firmenlogo an die Glastür – viel mehr will er nicht verändern. Aus den Teebereitern in der Kantine sollen Laborgeräte werden. „Das muss keinen Sinn ergeben“, sagt er, „nur gut aussehen.“ Eine härtere Nuss ist die Elb Lounge, ein feudales Anwesen an der Elbchaussee, das die Fabrikantenvilla darstellen soll. „Schwierig, hier Privatheit reinzukriegen“, sagt Langmaack und behilft sich mit einem Trick: Das Badezimmer im ersten Stock soll kurzerhand ins Erdgeschoss „verlegt“ werden – zumindest soll der geschnittene Film diese Illusion erwecken, damit das Haus nicht ganz so groß wirkt.
Eoin Moore hält sich auffallend zurück. „Gesunde Distanz zum Kleinkram“, nennt er das, „es ist ein wichtiges Signal für die Teammitglieder, dass sie autonom arbeiten dürfen.“
Am Abend begrüßt Moore die Hauptdarsteller zur Leseprobe am Küchentisch seiner Eimsbütteler Arbeitswohnung. Diesmal haben die Schauspieler nichts gegen die Anwesenheit eines Journalisten. Dass man Moores Leid der Motivbesichtigung ohne Murren geteilt hat, hat Skepsis abgebaut.
„Ich will nur, dass sie es weiß? Ich will nicht, dass wir eine Lösung finden, oder?“, fragt Charly Hübner, als sie beim Herzstück des Films ankommen – zumindest, was das schwierige Verhältnis der Figuren Katrin König und Alexander Bukow angeht. Hübner, dieser derb aussehende Mecklenburger Kerl, lotet die feinen Nuancen seiner Figur aus – mit Moores Hilfe. „Die Leseprobe ist richtungsweisend für mich“, sagt Hübner später, „weil ich da die entscheidenden Signale von Eoin bekomme, wo er die Geschichte hinhaben will und was ihm schnuppe ist.“
Vor dem Spielen steht das Verstehen – das Einfühlen in die Psychologie ihrer Figuren, den „inneren Film“, wie Hübner das nennt. In der angesprochenen Szene gesteht Hauptkommissar Bukow seiner Kollegin König, aus Angst um das Leben seines Sohns Polizeiinterna preisgegeben zu haben. Der Bösewicht Subocek hatte den Jungen entführt, als Bukow verdeckt gegen ihn ermittelte. König wiederum, vom LKA nach Rostock abgestellt, ermittelt offen gegen Bukow und dessen kriminelle Vergangenheit, die auch noch Gegenwart sein könnte. So genau wissen das weder König noch der Zuschauer.
Bukow macht sich an dieser Stelle also nackig – und genau dieses schrittweise Entblättern der Figuren wie in guten US-Serien hebt den Rostocker „Polizeiruf“ von Durchschnittskrimis ab, in denen die Ermittlerfiguren, einmal eingeführt, dazu verdammt sind, sich nicht weiterentwickeln zu dürfen. Horizontales Erzählen bei nur zwei Filmen im Jahr, von denen jeder auch für sich selbst stehen können muss – ein Wagnis, das Moore 2009 gemeinsam mit der mittlerweile entlassenen NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze in Angriff genommen hat.
Heinze war in die Schlagzeilen geraten, weil sie unter Pseudonym geschriebene Drehbücher von sich selbst und ihrem Mann hatte verfilmen lassen und dafür mehr Geld einstrich, als ihr zustand. Der Sender kündigte ihr und der in die Drehbuchaffäre verwickelten „Polizeiruf“-Produktionsfirma Allmedia Pictures. Zwei Wochen vor dem ersten Dreh sprang die Filmpool ein, die auch über diesen Film hinaus an der Zusammenarbeit mit Moore festhielt. Für Hübner ist Moore „so ’ne Art Papi von Bukow und König“. Moore hat die Figuren gemeinsam mit seinen Hauptdarstellern entwickelt.
Gegen Ende der Leseprobe gesellt sich Andreas Patton dazu, der mit dem letzten Flug aus Wien gekommen ist. In „Feindbild“ spielt er die Episodenhauptrolle Lutz Brückmann, den verzweifelten Vater. An seinen sieben Drehtagen übernachtet Patton in Moores Gästezimmer, um Hotelkosten zu sparen.
12. August 2010, Rostock
Hauptbahnhof, Gleis 6: Gehetzt öffnet Lutz Brückmann Schließfach 107 und nimmt einen Umschlag heraus. Als er sich umdreht, wird er von einem Reisenden angerempelt, eine DVD fällt aus dem Umschlag auf den Steinboden. Brückmann hebt sie auf, flucht leise und sieht zu, dass er Land gewinnt. Das ist die Szene, die an diesem Vormittag gedreht wird. „Andreas, wenn die Kamera rumschwenkt, kannst du nicht schon im Bild warten“, ermahnt Regisseur Moore seinen Darsteller. Er verfolgt die Arbeit von Kameramann Martin Farkas auf einem tragbaren, zusammenklappbaren Monitor. Die schwere Kamera scheint beim Drehen leichter zu werden, so locker trägt Farkas sie auf der Schulter. Er rennt mit ihr um die Schauspieler herum, hinter ihnen und, wenn’s sein muss, auch rückwärts vor ihnen her.
Auch Farkas ist noch nicht zufrieden: „Ich bin da zu eng.“ Also gleich noch mal – wobei „gleich“ relativ ist. Bis der Regisseur die Sequenz kontrolliert hat und die Kamera wieder bereit ist, vergeht viel Zeit, die die gerade nicht gefragten Teammitglieder in ihrem Versteck hinter dem Schließfachcontainer verbringen. „Die Realität ist eine brutale Bedrohung“, sagt Andreas Patton, während ein älteres Ehepaar seelenruhig Schließfach 098 belädt und damit erst mal den Betrieb aufhält. Der Drehort ist nicht abgesperrt. „Wir können froh sein, dass wir überhaupt im Bahnhof drehen dürfen“, sagt Farkas. „In Filmstädten wie Hamburg kannst du das vergessen.“
3. September 2010, Hamburg
Im zweiten Stock des ehemaligen Zollamts Oberelbe, Motiv Polizeidirektion Rostock, schraubt Setdresser Rasmus Hirthe „Studenten“ in den PVC-Boden. So heißen die Stützen der Spanplattenwände, die Hirthe einzieht. Hier entsteht das Schlafzimmer der Bukows und gegenüber ein Pensionszimmer. „Wir sind im Originalmotiv nicht ganz fertig geworden“, erklärt er, „also bauen wir das jetzt nach.“ Hirthe klont Orte – und findet das ganz normal. In fünf Tagen muss er fertig sein. So richtig perfekt wird die Illusion erst im Zusammenspiel von Licht und Kamera.
Jeder macht seins, und am Ende wird’s eins – dies Wunder lässt sich hier besichtigen. Dreharbeiten sind ein Dauerfeuer der Gleichzeitigkeiten, ein Parallelen-Universum. Unmöglich, überall gleichzeitig zu sein.
Pause. Die Kameraabteilung spendiert Kuchen für alle. „Schnapsklappe“ nennt sich diese Filmsitte, bei drei identischen Zahlen auf der Klappe – also zum Beispiel Szene drei, Take drei, die Dritte – eine Runde auszugeben. Weil der Tag aber noch lang ist, hat sich nur in den Schokokuchen ein bisschen Schnaps verirrt. „Vielen Dank für die Klappe der Kameraabteilung“, ruft Charly Hübner. Alle applaudieren.
8. September 2010, Hamburg
Am Monitor hängt ein Streifen Tesakrepp: „Heute letzter Vorhang“. Die Vorfreude auf das Ende der Produktion ist am 22. Drehtag mit Händen zu greifen. Ein letztes Mal müssen sich auf dem Hof der Polizeidirektion Rostock alle konzentrieren, denn heute ist die Szene dran, in der Bukow seiner Kollegin König die Gefälligkeiten für Subocek gesteht – mit offenem Hosenstall, wie immer. „Das gehört zur Rolle“, sagt Hübner, als ihn jemand darauf aufmerksam macht.
Das Gespräch zwischen König und Bukow spielt in dessen Volvo, gedreht wird mit zwei Kameras. Eine filmt durch die Fenster auf der Beifahrerseite, die andere, auf einen Kamerawagen montiert, durch die Windschutzscheibe. „Wir variieren zwischen parallel und frontal“, nennt Farkas das. Moore instruiert seinen Hauptdarsteller: „Wenn du das Gefühl hast, du musst Anneke angucken, dann guck sie an. Wenn du das Gefühl hast, du musst zu Boden gucken, dann guck zu Boden. Hauptsache, du zeigst, dass es in dir arbeitet.“ An Moore, sagt Hübner später, schätze er, „dass er dem Schauspieler nichts vorknallt, sondern ganz viel von dir aufnimmt. Du fühlst dich gut aufgehoben.“
Im zweiten Stock zerstört Setdresser Hirthe sein Werk, das Pensionszimmer ist Geschichte. „Das tut ein bisschen weh“, sagt er, „ist aber auch scheißegal.“
Um kurz acht ist Drehschluss. Alle fallen sich in die Arme. Die Regieassistentin macht eine allerletzte Ansage: „Eoin lädt uns noch zu einem Crémant ein, weil gerade sein Handy geklingelt hat, mitten im Take.“ Lange dauert der Umtrunk nicht, alle wollen nur noch nach Hause.
9. September 2010, Hamburg
Es ist keine übermäßig originelle Einlage, noch nicht mal den Text haben sie umgedichtet, und trotzdem begeistern Eoin Moore und seine Hauptdarsteller das Team mit dem rausgeschmetterten Kirchenlied „Danke für diesen guten Morgen“. Besonders die Passage „Danke für meine Arbeitsstelle“ kommt gut an, denn gerade wurde verkündet, dass die Filmpool den Produktionsauftrag für den Rostocker „Polizeiruf“ behält. Der war nach dem Ausscheiden der Allmedia Pictures nur provisorisch vergeben worden und musste parallel neu ausgeschrieben werden. Die Erleichterung ist groß. Auch darüber, dass diese besonderen Figuren und Geschichten weitererzählt werden können.
Das Abschlussfest in dem ausgedienten Alsterdampfer an diesem Abend ist also kein Abschied für immer – auch wenn große Teile des Teams von Film zu Film wechseln. „Filmemachen ist der reinste Manchesterkapitalismus“, sagt Kameramann Martin Farkas ein paar Getränke später. „Jeder bewirbt sich mit jedem Job um den nächsten. Das ist hammerhart.“ Beziehungen sind alles. Der Regisseur hat Farkas ausgesucht, dieser die Kameraassistentin und diese wiederum die Materialassistentin und den Video-Operator. Wer niemandem einfällt, kriegt keine Jobs.
Regisseur Moore ist noch aus einem zweiten Grund erleichtert: weil er jetzt endlich mal wieder seine Ruhe hat, „nicht immer 35 Leute um mich rum“. Trotzdem hat er noch viel Arbeit vor sich. Für ihn ist „Feindbild“ nicht fertig. Seine Cutterin wartet schon im Schneideraum.
30. September 2010, Berlin
„Der Film ist ein bisschen lang, da müssen noch zehn Minuten raus“, sagt Eoin Moore, bevor er die DVD startet. Das ist heute seine große Bewährungsprobe, denn hier in seinem Wohnzimmer in Prenzlauer Berg kennt er die Zuschauer, jeden einzelnen. Es sind Eoin Moores Freunde, kaum einer von ihnen arbeitet beim Film. Ihnen zeigt er „Feindbild“ noch vor der Endabnahme beim NDR – um die Betriebsblindheit zu durchbrechen, das macht er immer so. „Verzeiht die Holperer“, sagt er, „es geht ums Grobe.“ Fertig ist „Feindbild“ nämlich noch nicht, nicht nur wegen der Länge. Was fehlt, sind Feinheiten, die wohl nur den wenigsten Zuschauern auffallen: Tonmischung, Farbkorrektur, Nachsynchronisation, solche Sachen.
Der Film kommt gut an – was Moore fast ein bisschen unangenehm ist: „Beim letzten Mal wart ihr viel kritischer.“ Aber dann fallen den Gästen doch noch einzelne Szenen ein, die sie für entbehrlich halten.
„Das ist so schrecklich, was die Pharmaindustrie macht“, sagt jemand. „Eigentlich müsste der Sender von selbst drauf kommen, anschließend bei ‚Anne Will‘ darüber zu sprechen.“ Das sei alles recherchiert, beteuert Moore. Für das Drehbuch habe er wochenlang Bücher gewälzt, Fernsehbeiträge geguckt, mit Experten gesprochen und die Werbemethoden der Pharmabranche studiert.
2. November 2010, Berlin
Auf Eoin Moores Knien liegt die Liste mit den Musikeinsätzen, auf der er Kommentare zu den Stücken seines Stammkomponisten Warner Poland notiert hat: „Whg Teil vielleicht insgesamt zu dick?“, steht da oder: „Ende zu abrupt“. Der Amerikaner Poland, sonst Bandleader von Nina Hagen, spricht genauso perfekt Deutsch wie Moore, Arbeitssprache in seinem Studio in Kreuzberger Randlage ist trotzdem Englisch. „A little bit more intonation on the Geiger Pharma“, bittet Moore. Poland korrigiert die Stelle am Rechner. So geht das auf der Suche nach der perfekten Emotionssteuerung einmal durch den Film. „Wir haben sehr auf Percussion gesetzt“, sagt Poland, „wollten weg von den üblichen Thrillerklängen.“ Und so hat etwa das metallische Kratzen eines Laubrechens seinen Auftritt oder Werkzeug aus einer Autowerkstatt.
4. November 2010, Berlin
„Du hast zu lang angeatmet, Charly“, sagt die Frau hinter der Scheibe. Sie ist streng, hört Dinge, die andere Menschen nicht hören. Das ist ihr Job als Synchroncutterin, aber ein bisschen unheimlich ist es trotzdem. Also gleich nochmal. Auf der Leinwand vor Charly Hübner erscheint ein Countdown. Und los! Hübner wiederholt den Satz. Die Frau hinter der Scheibe ist zufrieden. Im Regieraum des Tonstudios sitzen Moore und ein Toningenieur. Schlechter Originalton ist der eine, langweilige Grund, eine Stelle zu synchronisieren, der andere, spannendere ist, dem Zuschauer durch die Handlung zu helfen, seine Aufmerksamkeit zu steuern. Moore lässt in einem Gespräch der Ermittler über das Mordopfer nach „an seinem neuen Arbeitsplatz“ ein „bei Geiger Pharma“ einfügen. Das wird der Zuschauer später natürlich nicht merken – höchstens daran, dass die Kamera nicht Hübners Gesicht zeigt. Denn was er beim Dreh nicht gesagt hat, kann er nicht lippensynchron nachsprechen.
Plötzlich steht Anneke Kim Sarnau im Studio. Großes Hallo. Ihre derbe Lache flutet den Raum. Sie ist als Nächstes dran, Hübner kann Kaffee trinken gehen. „Haste deinen Stalker schon wieder dabei, Eoin?“, fragt Sarnau ihren Regisseur. Und lacht. Keine Angst – schon vorbei. Der Film ist fertig, bis auf die Mischung. Der sonntaz-Stalker hat genug gesehen.
■ David Denk, 29, ist taz-Medienredakteur und Gastgeber einer „Tatort“-Runde am Sonntagabend
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen