: Gerangel an der Steckdose
Der Berliner Strommarkt ist der größte Deutschlands – und entsprechen heiß umkämpft. Der Netzbetreiber Vattenfall gilt unter Konkurrenten als eher kulant, allerdings gibt es auch Klagen
von RICHARD ROTHER
Die EU-Kommission will die Macht der Stromkonzerne begrenzen, und die Berliner Grünen wollen Vattenfall die Kontrolle über das Leitungsnetz abnehmen – um zu mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt an der Spree zu kommen. Dabei gilt der hauptstädtische Großversorger Vattenfall, der die Bewag übernommen hatte, auch bei seinen Konkurrenten im bundesweiten Vergleich als eher unkompliziert. Allerdings gibt es in der Branche auch Klagen über Behinderungen.
Der Ökostromanbieter Lichtblick aus Hamburg etwa blickt positiv nach Berlin. „Wenn wir einen Netzbetreiber loben können, dann Vattenfall in Berlin“, sagt Lichtblick-Sprecher Gero Lücking. Der Wechsel von Vattenfall-Kunden zu Lichtblick klappe gut, anderswo stoße man da bei Netzbetreibern „auf Beton“. Diesen Vorwurf könne man Vattenfall nicht machen. Den EU-Vorstoß begrüßt Lücking. Damit könne sich das Potenzial der Quersubventionierung innerhalb der großen Stromkonzerne verringern, was die Chancen für kleinere Wettbewerber verbessere. Rund 50.000 Kunden beliefert Lichtblick nach eigenen Angaben mittlerweile in der Stadt.
Mit Vattenfall klappe es in Berlin recht ordentlich, ist auch ein Nuon-Sprecher zufrieden. Absichtliche Hemmnisse bei Kundenwechseln gebe es nicht. Allerdings komme es zu technischen Schwierigkeiten. So müssten immer noch Kundendaten per Hand eingegeben werden, ein vollautomatischer Wechsel sei nicht möglich. „Das ist nicht massenmarkttauglich.“ Ein Stromanbieterwechsel dauere in Deutschland sechs bis acht Wochen. „Für viele Kunden ist das psychologisch eine Barriere.“ Der Wechsel müsse vereinfacht werden, so der Sprecher. Im September habe Nuon 40.000 Kunden in Berlin gehabt.
Die Stromhandelsfirma eprimo sieht in Berlin kaum Schwierigkeiten. „Wir haben überhaupt keine Problem der Abwicklung von Wechseln mit Vattenfall“, so Unternehmenssprecher Jürgen Rauschkolb. Dem Netzbetreiber sei es ja auch egal, von wem er die Gebühren kassiere. Rund 16.000 Kunden beliefert die Firma nach eigenen Angaben in Berlin.
Kritischer sieht das die Berliner Energiedienstleistungsfirma Flexstrom. Es gebe in Berlin durchaus Probleme, wenn Kunden wechseln wollten, so Firmensprecher Dirk Hempel. Allerdings sei Vattenfall relativ offen. Flexstrom habe in Berlin Ende 2006 knapp 20.000 Kunden verzeichnet. Die Liste der häufigsten Probleme, die Flexstrom mit Netzbetreibern habe, sei lang. Dazu gehörten: eine verspätete Rückmeldung des bisherigen Versorgers zu den gelieferten Daten neu gewonnener Kunden; gar keine Rückmeldung unter Begründungen wie „haben wir vergessen“, „haben wir doch geschickt“, „der zuständige Ansprechpartner ist krank oder im Urlaub“; schlechte Qualität der Rückmeldedaten, in denen beispielsweise technisch notwendige Daten zur Stromeinspeisung fehlten und erst nach mehrfachen Nachfragen herausgegeben würden.
Die von der EU ins Gespräch gebrachte Loslösung der Stromnetze aus den großen Energiekonzernen ist nach Ansicht von Flexstrom ein Schritt in die richtige Richtung. Die Auslagerung des Netzbetriebes habe aber nur dann einen Effekt, „wenn die neuen Betreiber garantiert unabhängig von den großen Stromkonzernen agieren“, so Geschäftsführer Robert Mundt. Allerdings seien die Netzgebühren nicht das einzige Problem. So hielten die Konzerne durch Berechnung der Kohlendioxid-Zertifikate die Preise künstlich hoch. Auch funktioniere die Preisbildung an der Leipziger Strombörse nicht: Dort herrsche ein Oligopol der vier großen Konzerne.
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