: Die Welt, wie sie mir gefällt
Jule K.s Comics sind die Definition von süß. Ihre Protagonistinnen sind hedonistische Supergirls mit Minikleid und Krönchen, lebenszieltechnisch und emotional angemessen verwirrt. Ihre postfeministische Anti-Manga stellt Jule K. jetzt in Berlin aus
VON LORRAINE HAIST
Wer Jule K.s Bilder und Comics kennt und ihr anschließend irgendwann persönlich begegnet, wird sich erstaunt die Augen reiben: Wer ist hier eigentlich Comic und wer Zeichnerin?, fragt man sich angesichts der verblüffenden Ähnlichkeit der Hamburger Comiczeichnerin, Illustratorin und Malerin mit den Protagonistinnen ihrer Geschichten. In ihrem blauen Kleid mit dem Kirschenaufdruck, der Kirschenkette um den Hals und den pechschwarzen Haaren sieht die mädchenhafte 32-Jährige genauso aus wie „Cherry Blossom Girl“, die Superheldin aus Jule K.s gleichnamigem, im Comicverlag Edition 52 erschienenen Band.
Mit ihren romantischen, selbstironischen Geschichten über Leben und Lieben glamouröser Riot-Grrrls und Indie-Boys ist die 1974 in Lemgo geborene Wahl-Hamburgerin seit einigen Jahren eine der auffälligsten Stimmen der Independent-Comicwelt. Die liebevoll mit kindlich-verspieltem Strich gezeichneten Figuren wirken dabei sämtlich wie Protagonisten einer Anti-Manga für die mit der fortschreitenden Individualisierung ringende Analog-Boheme: Die wilden Mädchen haben riesige Augen und wunderschöne Körper, die Jungs sind schlaksige Prototypen des internationalen Alternative-Musikers. Im Mittelpunkt der schwarzweißen Panels stehen aber die Mädchen, die zwischen Bar, Bett, Bandgründung, Beziehung, bester Freundin, dem Sinn des Lebens und dem Überleben im Prekariat umhertaumeln. Glück wie Katastrophen ereignen sich in Jule K.s Bildgeschichten aber nicht wie bei ihren frühen Vorbildern, den 90er-Jahre-Comic-Idolen Peter Bagge („Buddy Bradley“) und Julie Doucet („New Yorker Tagebuch“), auf die harte oder autobiografische Tour: „Ich erzähle von Dingen, die mich beschäftigen, nicht von meinem Leben; das wäre mir zu peinlich. Im Fiktiven lässt sich viel mehr sagen.“
Und deshalb gibt es bei Jule K., die ihre mit dem Enthusiasmus und dem krakeligen Tuschestift des ewigen Teenagers erzählten Storys gerne auch mit einer ordentlichen Dosis Kitsch versieht, natürlich auch Superhelden. Weibliche. Sie heißen „Superprincess“ oder eben „Cherry Blossom Girl“ und retten Mädchen vor Enttäuschungen, während sie selbst zwischen Liebesrausch und Liebes-Aus hin- und herschlingern. Wenn sie sich dabei nichts sehnlicher wünschen, als „mit meinem Geliebten in einem Schwanenboot auf der Alster zu fahren und dabei Elvis zu hören“, dann klingt das nach einer 50er-Jahre-Naivität, die sich in Zeiten des Werte-Backlash besser keine kluge und am besten überhaupt keine Frau leisten sollte. Für die selbstbewusste Jule K. hat ihre Sichtweise jedoch weniger blauäugigen, als vielmehr positiv eskapistischen Charakter: „Meine Geschichten mögen auf manche naiv wirken – ich stelle das Leben eben so dar, wie es mir gefällt. Ich habe lange versucht, mich in verschiedenen Gruppen politisch zu engagieren, aber die dort vertretenen Meinungen waren mir immer zu homogen. Ich widme mich jetzt lieber dem Spaß und meiner eigenen Fantasiewelt.“
Dabei haben Jule K.s Geschichten hinter der Kulisse aus Kirschen, Erdbeeren, Flamingos, Pferden und sich küssenden Pärchen eine durchaus feministische Basis: Da hängt über einem Bett kein Pärchenfoto, sondern die Busenfreundin, mit der offensichtlich nicht nur das Ausgehen mehr Spaß macht, sondern auch das gegenseitige Verstehen besser klappt als mit dem schönen großen Jungs des Moments. „Für mich sind Freundschaften viel wichtiger als symbiotische Pärchenbeziehungen“, sagt Jule K., für die es in ihrer Arbeit auch „um die Selbstverständlichmachung der immer noch nicht selbstverständlichen Gleichberechtigung“ geht. „Eine feministische Position zu haben heißt für mich nicht, dass ich auf irgendetwas verzichten oder verschlossen und zynisch werden muss“, sagt die ehemalige Bassistin der Hamburger Riot Grrl-Band Parole Trixi, die 2005 ihren Abschluss als Diplom-Designerin an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften machte. Ihr geht es viel mehr um ein Miteinander-Spaß-Haben und ein Solidarischsein. Und deshalb dürfen ihre Protagonistinnen nicht nur bunte Minikleider und Krönchen tragen, sondern sich auch immer wieder in heterosexuelle Zweierbeziehungen stürzen, solange die nicht zur Pärchenhölle verkommen. In einem solchen Fall hilft eines von Jule K.s Supergirls bei Ausstieg und Umorientierung: „Vielleicht sollte ich eine Band gründen“, denkt ein Mädchen nach der Rettung vor einem Jungen, der es für „voll wabbelig“ befunden hatte.
Apropos Band: Neben zahlreichen Illustrationsaufträgen und diversen Ausstellungen in Deutschland, Kroatien und der Schweiz hat die umtriebige Comic-Künstlerin vor kurzem nicht nur ihren Bass aus dem Keller befreit; mit ihrem neuesten Projekt, „Lost in Music“, möchte sie in Zukunft auch die Welt bereisen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Roman Maeder vom Schweizer Comic-Kollektiv Milk & Wodka präsentiert der selbst ernannte „fanatische Musikfan“ jetzt schon mal in Berlin Pop Art im eigentlichen Sinn: Ein-Bild-Geschichten zu ihren Lieblingsliedern von Belle & Sebastian, Johnny Cash und den Moldy Peaches – in Acryl, bunt, großformatig und fröhlicher Alter Egos.
Ausstellung „Lost in Music“ (Bilder von Jule K. & Roman Maeder): 20. 1.–23. 2., Renate Comicbibliothek, Tucholskystr. 32. Vernissage: morgen, 21 Uhr
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