: Kein Bock auf ein Jahr mehr Schule
ABITUR In Bayern ist das Volksbegehren für eine längere Gymnasialzeit deutlich gescheitert – trotz zahlreicher G8-Gegner. Lag es an der Fußball-WM? Oder doch am Vorschlag der Freien Wähler?
MÜNCHEN/BERLIN taz | Die Bayern haben keine Lust auf ein zusätzliches Jahr zum Abitur: Nur etwa 3 Prozent haben nach ersten Schätzungen in den letzten zwei Wochen in ihren Rathäusern das entsprechende Volksbegehren unterschrieben. 10 Prozent wären nötig gewesen, dann hätte entweder der Landtag den Vorschlag übernommen oder es wäre zu einem Volksentscheid an der Wahlurne gekommen.
Die Freien Wähler (FW) hatten das Volksbegehren vorangetrieben – ohne Erfolg, wie Parteichef Hubert Aiwanger bereits vor Fristende am Mittwochabend eingestand. Der Vorschlag der FW sah vor, dass die Schulen selbst entscheiden können, ob sie das Abitur nach acht oder neun Jahren anbieten. Die Schüler hätten dementsprechend ihr Lieblingsgymnasium wählen können.
Einen Schuldigen für das Scheitern hatte der Generalsekretär der Freien Wähler, Michael Piazolo, gleich ausgemacht: Die Fußball-WM. Diese habe „die Aufmerksamkeit auf andere Dinge gerichtet“, sagte Piazolo im Bayerischen Rundfunk. Daneben kritisierte er auch die SPD und die Grünen. Diese sind zwar auch gegen das G8 in seiner jetzigen Form, dem Volksbegehren wollten sie sich aber nicht anschließen, „Es wäre besser gewesen, wenn sie mit uns zusammen das Volksbegehren gemacht hätten“, meinte Piazolo. Es sei sicherlich nicht gut, wenn es zu viele unterschiedliche Konzepte gäbe.
Bei den Grünen heißt es: Keine Reform um jeden Preis. Die SPD wünscht sich das G9, den Parallelbetrieb wie ihn die FW vorschlagen, lehnt sie ab. Vielfach wurde bemängelt, dass in ländlichen Gebieten mit wenig Schulen eine Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium de facto nicht möglich wäre. Münchner Schulen hatten jüngst gewarnt, für eine zusätzliche Jahrgangsstufe fehlten schlicht die Klassenzimmer.
FW-Chef Aiwanger schimpft in der Süddeutschen Zeitung auf Bayerns Lehrerverband, der auch Gegner des G8 ist, das Volksbegehren aber nicht unterstützte: „Die Philologen haben der CSU in die Hände gespielt, weil sie sich nicht bekannt haben zu dem, was sie wollten.“
Weil die G8-Gegner untereinander zerstritten sind, ist die CSU der lachende Dritte. Ministerpräsident Horst Seehofer machte deutlich, dass es nach dieser „Watschn für Herrn Aiwanger“ keine Kehrtwende am Gymnasium geben werde.
Das Thema köchelt trotzdem weiter: Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) will im Herbst eine Schulreform vorlegen. Dabei wird er wohl versuchen, das sogenannte Flexi-Jahr beliebter zu machen: Seit 2012 können Schüler ihren Weg zum Abi in der Mittelstufe freiwillig um ein Jahr verlängern. So will die Staatsregierung unzufriedene Eltern, Schüler und Lehrer besänftigen.
Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, befürchtet, dass das Ergebnis in Bayern die G9-Befürworter bundesweit schwächen könnte. „Ich befürchte einen Rückschlag“, sagte Meidinger der taz. Dabei hätte eine Umfrage seines Verbandes kürzlich noch gezeigt, dass nach wie vor 80 Prozent der Eltern die G8-Reform für verfehlt hielten. Dass das bayerische Volksbegehren dennoch gescheitert sei, liege am komplizierten Konzept und am fehlenden Bündnis der G9-Befürworter. „Jeder hat sein eigenes Ding gemacht“, kritisierte Meidinger. Außerdem stünden Volksbegehren in Bayern unter Haushaltsvorbehalt. Ein zusätzliches Schuljahr hätte keine zusätzlichen Kosten verursachen dürfen.
Nun richten sich die Hoffnungen der Liebhaber einer längeren Gymnasialzeit auf Hamburg: Die dortige Elterninitiative „G9 jetzt“ will am 18. September anfangen, Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln.
ANNA LEHMANN, FERDINAND OTTO
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