piwik no script img

Temporär beschlagnahmt

Von Kinovorführungen in leeren Industriehallen bis hin zu illegalen Parties per One-Night-Besetzung - der unbenutzte Raum begünstiget eine raumgreifende kulturelle Szene. Doch so viel Leerstand, wie Berlin zu bieten hat, ist gar nicht zu bewältigen. Ungenutzte Läden und Wohnungen mutieren zu komplett verlottertem Terrain.

Stadtentwickler suchen deshalb beständig nach Ansätzen, um solchen Entwicklungen vorzubeugen - eine so genannte Zwischennutzungsagentur in Berlin-Neukölln ist einer davon. Um das Potenzial ungenutzter Flächen zu erschließen, wurde eine gleichermaßen einfache wie einleuchtende Idee umgesetzt: Leer stehende Läden oder Lagerhallen lieber temporär mietfrei zu nutzen, als Immobilien und Sozialstrukturen dem Verfall anheim zu geben.

Das Ergebnis lässt sich sehen: Die von der Stadt geförderte Zwischennutzungsagentur hat seit 2005 dutzende Projekte begleitet, die herunter gekommenen Immobilien neues Leben einhauchen. In erster Linie bringt sie potenzielle Mieter und Leerstands-Eigner erst einmal zusammen.

Interesse an zeitlich begrenzt verfügbaren Räumlichkeiten gibt es im kreativen „melting pot“ Berlin nämlich genug. Die Aussicht reizt viele: Ob eine Galerie auf Zeit, günstige Ateliers, eigene Werkstatt oder erster Laden - die Chance, sich ohne finanzielle Risiken ausprobieren zu können, ist besonders für Künstler und Jungunternehmer attraktiv.

Die Eigentümer profitieren von ihren Null-Euro-Mietern, weil diese auf eigene Faust renovieren müssen. So verschwinden bröckelnder Putz, feuchte Dielen oder schimmelnde Decken - Instandsetzung im do-it-yourself-Verfahren. Nebenbei wird das Image einzelner Straßenzüge oder Stadtteile wieder belebt und aufgewertet.

Diese Erfahrungen zeigen, wie sinnvoll ein institutionalisiertes Management von schwer und nur temporär vermittelbaren Räumen ist. Dafür mit öffentlichen Mitteln die Strukturen zu schaffen, ist für eine Stadt wie Berlin eine lohnenswerte Angelegenheit. Besonders in Zeiten flexibler werdender Patchwork-Karrieren und finanziell unsicherer Lebensläufe bieten die Zwischennutzungen Gelegenheit, risikoarm Geschäftsideen zu erproben, Freiraum für Kreativität zu schaffen und Sozialstrukturen zu festigen. Ein Gewinn für alle.

Sebastian Blottner

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen