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AMERICAN PIEEine schwere Geburt

BASKETBALL Die New York Knicks verkaufen ihre Zukunft, um sich Carmelo Anthony zu sichern – und endlich einen Titel zu gewinnen

Ein Riesendeal: Zwölf Spieler und sechs Millionen Dollar wurden hin und her geschoben

Es war eine schwere Geburt. Die Verhandlungen zogen sich so lange hin, dass die Öffentlichkeit bei neuen Wasserstandsmeldungen bereits genervt abwinkte. Als schließlich längst schon nicht mehr mit einem Ergebnis gerechnet wurde, einigten sich die Beteiligten auf einen halbgaren Kompromiss. Nein, die Rede ist ausnahmsweise mal nicht vom Gezerre um den Hartz-IV-Regelsatz, sondern um das Regelwerk der National Basketball Association (NBA). Denn das sorgt dafür, dass sich der Wechsel eines Spielers von einem Klub zum anderen mitunter in etwa so kompliziert gestaltet wie parteipolitisches Gezänk in Berlin.

Zugegeben: Es geht auch nicht nur um acht Euro mehr, sondern um Millionen Dollar schwere Verträge, die hin und her geschoben werden mussten, um Carmelo Anthony von Denver nach New York zu verfrachten. Nach monatelangen Verhandlungen und Spekulationen wurde nun Vollzug gemeldet: Der 26-jährige Flügelspieler, einer der spektakulärsten Korbjäger der NBA, wechselt von den Nuggets, wo er seit acht Jahren spielte, zu den Knicks, einer der traditionsreichsten Franchises der Liga, die aber seit Jahren verzweifelt versucht, wieder Titelaspirant zu werden.

Damit solch ein Deal zustande kommen kann, müssen aber allerhand Vorschriften beachtet werden, mit denen die NBA Chancengleichheit garantieren will, allen voran das sogenannte Salary Cap. Wer die Gehaltsobergrenze überschreitet muss eine empfindliche Luxussteuer abführen. Das führt dazu, dass, um den gebürtigen New Yorker Anthony in seine Heimatstadt zu lotsen, ein weiterer Klub, die Minnesota Timberwolves, einbezogen wurden und insgesamt zwölf Spieler den Verein wechseln müssen. Außerdem fanden sechs Millionen Dollar und diverse Draftpicks neue Besitzer.

Allerdings: Welcher Klub von der Massenwanderung am meisten profitiert, darüber sind sich die Experten uneins. Denn um Anthony zu bekommen, mussten die Knicks vier wichtige Spieler an die Nuggets abgeben: Mit Danilo Gallinari, Raymond Felton, Wilson Chandler und Timofej Mosgow muss New York künftig auf vier Fünftel seiner Startbesetzung verzichten. Alle vier sind jung und haben in dieser Saison nachgewiesen, dass sie großes Potenzial besitzen. Das kann man von dem Spielermaterial, das die Knicks neben Anthony im Gegenzug bekommen haben, nicht unbedingt sagen: Der Beste ist noch Aufbauspieler Chauncey Billups, der im Alter von 34 Jahren aber wohl über seinen Zenit hinaus ist.

Auch bei den Knicks ist nicht jeder glücklich über den Spielertausch. Vor allem Teampräsident Donnie Walsh, so heißt es, soll dagegen gewesen sein, für Anthony die Zukunft des Klubs zu verscherbeln. Durchgesetzt hat sich schlussendlich aber James L. Dolan. Der ist der Vorsitzende der Madison Square Garden Inc., die nicht nur den legendären Spielort der Knicks, sondern auch den dort ebenfalls auflaufenden Eishockeyklub New York Rangers, TV-Sender, Theater und Sporthallen betreibt. Nolan wollte Anthony um jeden Preis, um mit dessen prominenten Namen den Garden zu füllen.

Welcher Klub von der Massenwanderung profitiert, darüber herrscht Uneinigkeit

Damit konterkariert er allerdings die Aufbauarbeit, die Walsh in den vergangenen drei Jahren leistete. Der hatte, als er 2008 nach 17 sehr erfolgreichen Jahren von den Indiana Pacers nach New York kam, von seinen Vorgängern einen sportlich katastrophalen Kader übernommen. In mühevoller Kleinarbeit, mit vielen kleinen, wenig spektakulären, aber effektiven Tauschgeschäften sanierte er die Franchise sportlich und wirtschaftlich. Endlich wieder unter dem Salary Cap konnte Walsh vor dieser Saison mit Amar’e Stoudemire einen Star verpflichten, der die Knicks wieder auf die Gewinnerstraße führte. Momentan ist New York auf Playoff-Kurs.

Für den Saustall, den Walsh aufräumte, war vor allem einer verantwortlich: Isiah Thomas hatte als Sportdirektor und später Cheftrainer den teuersten Kader der Liga zusammengestellt, rangierte aber stets am Tabellenende und handelte sich auch noch einen Prozess wegen sexueller Belästigung ein. Ausgerechnet den als Totengräber der Knicks aus der Stadt gejagten Thomas bezeichnet Dolan aber immer noch als „sehr guten Freund“ und wollte ihn erst kürzlich als Berater verpflichten. Ein Ansinnen, das von der NBA aber abgelehnt wurde, weil Thomas als Collegecoach in Florida arbeitet. Thomas soll nun trotzdem seine Finger im Spiel gehabt haben. Auch das avancierteste Regelwerk lässt sich eben umgehen. THOMAS WINKLER

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