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normalzeitHELMUT HÖGE über den Goldenen Hahn

„Wer nichts wird, wird Wirt – wer auch das verpasst, bleibt Gast“

Ich war nur einmal im Goldenen Hahn am Heinrichplatz – mit einer kleinen Abspaltung einer großen bayerischen Reisegruppe, die die Grüne Woche besuchte. Die Abspaltung hatte in den Medien viel von Kreuzberg gehört: Randale, Punks, Türken und „Kreuzberger Nächte sind lang“. Das alles und noch viel mehr wollten sie endlich selber sehen und erleben. Und weil sie mich am Bayernstand so großzügig eingeladen hatten, lotste ich sie im Gegenzug in den Goldenen Hahn – nicht wissend, dass Ausländer, und dazu gehörte auch ich, dort eigentlich nicht gerne gesehen waren. „Werbung machen?“, rief die Wirtin Inge einst auf die Frage des Autors und Stammgastes Thomas Kapielski entsetzt. „Bist du bescheuert? Dann kommen ja Fremde!“

Auch wusste ich nicht, dass die „Kreuzberger Nächte“ im Goldenen Hahn gerade nicht lang sind: Um 17 Uhr ist dort Feierabend. Es ist eine nachtsteuerbefreite „Tagesbar“ mit meistens runtergelassenen Rollläden und einer Klingel an der Tür. Die Bayern verdrießte das alles nicht: Sie genossen das billige Bier und erzählten sich Dorfwitze. Einen habe ich behalten: Der Knecht kommt atemlos zum Bauern gerannt: „Deine Frau treibt es mit dem Nachbarn auf der Wiese!“ Der Bauer schaut zum Fenster raus und meint: „Reg dich ab, es ist nicht meine Wiese!“

Zu den Stammgästen des Goldenen Hahn gehörte neben Kapielski und anderen Künstlern auch der Verleger Bernd Kramer, der sogar einen „von schweren Ketten gesicherten Schnapsglasdeckel hat, der an der Wand neben seinem Stammplatz an eigens dafür eingelassenen Ringen befestigt ist“. Kramer hat kürzlich ein ganzes Buch mit Geschichten über die Kneipe veröffentlicht. Nachdem ich das jetzt gelesen habe, bedauere ich es, den Goldenen Hahn nicht öfter angesteuert zu haben. Aber nun ist es zu spät: Inge ist in Rente gegangen!

Die meisten ihrer Gäste sind im selben Alter, lassen sich das jedoch nicht anmerken – und waren deswegen entsetzt, als sie von Inges Schließungsbeschluss hörten. Kapielski und Kramer wandten sich in ihrer Not an die Unesco, um die Kneipe als „Weltkulturerbe“ anerkennen zu lassen: Sie sei „ein einzigartiges sozial- und milieuästhetisches Ensemble“. Wenn ihr Vorstoß durchgekommen wäre, hätte im „Hahn“ bis in alle Ewigkeit nichts mehr verändert werden dürfen – nicht mal die Bierpreise.

Die Behörde reagierte jedoch bis heute nicht. Dafür machte das Boulevardblatt B.Z. aus dem Antrag eine ganze Doppelseite, wenig später folgten andere Lokalzeitungen. Dann meldeten sich die Fernsehsender: jedes Mal in Form einer jungen Tussi, die das „echt super“ fand und Kapielski sofort ihr „Team“ zum „Anrecherchieren“ auf den Hals schicken wollte. Der reagierte jedoch spröde und verlangte erst mal 1.000 Euro, woraufhin eine „Filmproduktion“ nach der anderen absprang, bis auf die „Jürgen von der Lippe Live GmbH“, die anscheinend in Geld schwamm.

Ihnen schickte Kramer dann zur Anrecherche seinen „anarchistischen Verlagskatalog sowie seinen verferkelten ‚Schwarzen Kalender‘“ – und damit war auch dieses Problem erledigt: die „dicke Donnerlippe“ meldete sich nie wieder. Dafür konnte Kramer gegenüber Inge an ihrem schankfreien Sonntag, an dem sie sich für gewöhnlich ihren Tieren widmet, einen „Tag des offenen Denkmals“ durchsetzen, zu dem laut Stammzecher Bertram Beer „zwei reizende rheinische Pärchen“ anrauschten.

Sie trugen wesentlich dazu bei, dass es „ein wunderbarer Nachmittag“ wurde. Aber um 17 Uhr war dennoch „Feierabend“ – die Musikbox wurde ausgestellt. An dem Tag fiel es den Gästen besonders schwer, „auf den schrecklich hellen Heinrichplatz“ hinauszutreten. Nur wenn an einem Samstag Lesungen im „Hahn“ stattfanden, blieb „das Ende offen“. Manchmal kam allerdings der Vorleser nicht, dann warteten die Gäste höflich – ebenfalls endlos.

Umgekehrt war es bei Schach-Micha, der zwar immer da war, jedoch zum Leidwesen vieler nie was über seine „Zwiebelforschung“ daheim und auf dem Feld zum Besten geben wollte. Er sowie auch all die anderen, vor und hinter der Theke, wurden nun in Kramers Buch mit Fotos und Zeichnungen noch einmal versammelt.

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