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Der verschwundene Reichtum

Über die Verteilung des Vermögens ist in Deutschland fast nichts bekannt. Die Folgen für das Steuersystem sind bizarr: Raucher bringen dem Staat viel mehr als Erben

Reicher Prinz erwählt arme Schönheit – das gibt’s kaum. Aschenputtel ist tatsächlich ein MärchenVor allem Trottel,die es verpasst haben, die legalen Schlupflöcher zu nutzen, zahlen Erbschaftsteuer

Über die Armen Deutschlands weiß der Staat bestens Bescheid – aber über die Reichen ist fast nichts bekannt. Irgendwie verschwindet ihr Vermögen auf dem Weg durch die Statistiken. Am Mittwoch hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Erbschaftsteuer befasst, und dies bot erneut Anlass, über die dürftige Datenlage zu staunen.

Eigentlich gibt es nur eine einzige verlässliche Zahl: Das Bundesfinanzministerium teilt jährlich mit, wie viel an Erbschaftsteuern eingenommen wurde. 2006 waren es 3,76 Milliarden Euro. 2005 wurden 4,097 Milliarden erzielt. Das ist verblüffend wenig, wie schon der Vergleich mit anderen Steuerarten zeigt. So hat die Tabaksteuer 2005 gleich 14,273 Milliarden Euro eingebracht. Sogar die Rennwett- und Lotteriesteuer erwirtschaftete noch 1,813 Milliarden Euro. Zumindest im Reich der Steuern scheint eine verkehrte Welt zu herrschen: Bei den Vermögenden ist nichts zu holen, dafür aber umso mehr bei den Unterschichten. Denn sie vor allem investieren in Zigaretten und in den Traum vom Lotto-Sechser.

Auch das Statistische Bundesamt hat schon versucht, in diese seltsame Welt der Erbschaftsteuern einzudringen. Das ist jedoch außerordentlich umständlich, da seit 1996 keine Vermögensteuern mehr erhoben werden. Seither erodiert das Wissen über die deutschen Besitzverhältnisse. Also fertigte das Bundesamt eine eigene „Erbschafts- und Schenkungssteuerstatistik“ an, die so mühsam zu erstellen ist, dass sie bisher nur für ein einziges Jahr existiert: für 2002. Damals wurden 2,2 Milliarden Euro Erbschaftsteuer gezahlt. Das entsprach, wie das Bundesamt aufwändig herausgefunden hat, Vermächtnissen im Wert von 12,1 Milliarden Euro.

Eine erfreulich exakte Zahl, aber auch sie sagt nichts über die realen Vermögensverhältnisse in Deutschland, sondern dokumentiert nur erneut die Willkür unseres Steuersystems. Das zeigt eine Überlegung aus jenem so oft belächelten Bereich namens „gesunder Menschenverstand“. Von vorn: Banalerweise soll die Erbschaft- und Schenkungsteuer auf transferiertes Vermögen gezahlt werden. Daher stellt sich zunächst die Frage, wie hoch wohl das Gesamtvermögen in Deutschland ist? Auch diese Zahl existiert übrigens nicht, sondern lässt sich nur aus Einzelgrößen zusammenstückeln. Aber insgesamt dürfte es sich um etwa 30 Billionen Euro handeln. Denn laut Bundesbank belief sich das Geldvermögen der privaten Haushalte Ende 2005 auf 4,26 Billionen, und das Statistische Bundesamt gibt an, dass das Sachvermögen in den Betrieben 11,2 Billionen und die Immobilien 9,4 Billionen wert sind. Hinzu kommt noch der Wert von Boden und Grundstücken, aber die erfasst niemand so genau.

Immerhin weiß man, dass von 82 Millionen Deutschen jährlich rund 800.000 sterben – macht 1 Prozent. Über den Daumen gepeilt, müssten bei insgesamt 30 Billionen Euro also jährlich 300 Milliarden den Besitzer wechseln. Tatsächlich dürfte es eher mehr sein, weil viele Alte über ein überdurchschnittliches Vermögen verfügen, hatten sie doch Zeit, Eigentum anzuhäufen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen übrigens die Banken, die sich darauf spezialisiert haben, reiche Erben zu beraten. Die Kreditinstitute schätzen, dass in den nächsten zehn Jahren allein von den Privathaushalten ungefähr 2,5 Billionen vermacht werden. Angesichts dieser gigantischen Summen wirkt es bizarr, dass das Statistische Bundesamt konstatiert, dass 2002 Vermächtnisse von nur etwa 12,1 Milliarden Euro versteuert wurden.

Offenbar sind die Möglichkeiten enorm, das zu vererbende Vermögen an der Steuer vorbeizuschleusen. Dafür müssen die Erblasser gar nicht erst aufwändig in die Schweiz umziehen, wie es Theo Müller von Müller-Milch einst so medienwirksam inszeniert hat. Die legalen Varianten der Steuervermeidung reichen völlig aus. Das fängt bei den hohen Freibeträgen an und endet bei Schenkungen zu Lebzeiten, die mit einem Nießbrauchsrecht kombiniert werden. Die Bank Ihres Vertrauens hilft da gern weiter. Allerdings ist nicht jeder Erblasser pfiffig genug, rechtzeitig einen Berater aufzusuchen. Und nur dieser Trotteligkeit ist es zu verdanken, dass der Staat überhaupt von einigen Nachlässen profitiert. Würden alle legalen Tricks tatsächlich ausgenutzt, so die Schätzung, würden die gezahlten Erbschaftsteuern um die Hälfte sinken. Dann wären 2006 nur noch rund 1,8 Milliarden Euro zusammengekommen – die Lotteriesteuer lässt grüßen.

Andere Staaten sind da strenger. Selbst so ausgeprägte Klassengesellschaften wie die USA und Großbritannien scheuen sich nicht, ihre Vermögenden bei der Erbschaftsteuer stärker zur Kasse zu bitten. Zudem kassieren beide Staaten auch eine Vermögensteuer.

Vor allem aus linken Kreisen wird nun die Forderung erhoben, dass sich das Schlusslicht Deutschland an die internationalen Steuerstandards anpassen soll. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zum Beispiel hat ausgerechnet, dass die Erbschaftsteuer 12 Milliarden Euro bringen könnte, wenn man die französischen Steuersätze übernähme.

Mehr Erbschaftsteuern? Dieser Vorschlag dürfte chancenlos sein, denn die deutsche Gesellschaft verabsolutiert das Eigentum. Krass zeigt sich das auch beim Karlsruher Urteil vom Mittwoch. Die Verfassungsrichter befassten sich intensiv mit dem Gleichheitsgrundsatz – aber es interessierte nur die Gleichheit zwischen Erben. Wer Immobilien erhält, soll künftig genauso behandelt werden wie ein Erbe von Geldvermögen. Die Gleichheit zwischen Erben und Nicht-Erben blieb hingegen völlig außen vor.

Dabei ist Ungleichheit zwischen Erben und Nicht-Erben längst das eigentliche Gerechtigkeitsproblem. Kinder können sich ihre Eltern nicht aussuchen, aber es lohnt sich außerordentlich, Glück zu haben: In der angeblichen Leistungsgesellschaft Deutschland entscheidet vor allem die Herkunft, wer welche Lebenschancen erhält.

Wie weit die Vermögensverhältnisse auseinander klaffen, wollte der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ermitteln, der vor allem repräsentative Haushaltsbefragungen auswertet. Ergebnis: Das oberste Zehntel verfügt über 47 Prozent des gesamten Privatvermögens, die untere Hälfte nur über knapp 4 Prozent.

Wer wenig hat, kann noch nicht einmal hoffen, wenigstens durch geschickte Partnerwahl aufzusteigen. Denn immerhin das Heiratsverhalten der Vermögenden ist statistisch gut untersucht: Sie bevorzugen ihresgleichen. Gleich und gleich paart sich gern. Reicher Prinz erwählt arme Schönheit – Aschenputtel ist tatsächlich nur ein Märchen.

In Deutschland wird der Staat oft als Räuber gesehen, der im Eigentum seiner Bürger wildert. Die Steuern werden als Zwangsabgabe betrachtet, die direkt in einen Sozialismus der radikalen Umverteilung führen. Dabei kann man ganz pragmatisch bleiben. Zum Beispiel sind sich alle einig, dass mehr Geld für die Bildung nötig ist. Eine erhöhte Erbschaftsteuer bietet sich da wirklich an.

ULRIKE HERRMANN

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