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Deutschland oder Frankreich?

EISKUNSTLAUF Ingo Steuer bekommt womöglich bald wieder öffentliche Gelder, will aber mehr

BERLIN taz | Eiskunstlauftrainer Ingo Steuer soll nun doch wieder aus öffentlichen Mitteln finanziert werden dürfen. Das empfahl die Unabhängige Stasi-Kommission des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Sie hob damit eine vor acht Jahren getroffene gegenteilige Entscheidung auf. Seit 2006 wird der Chemnitzer wegen seiner Tätigkeit für die Stasi nicht aus öffentlichen Töpfen bezahlt.

Zuletzt wurde Steuer von seinem Top-Eislaufpaar, den fünffachen Weltmeistern Aljona Savchenko/Robin Szolkowy, aus Sponsorengeldern bezahlt. Geld verdiente der Coach auch, indem er Sportler aus Kanada, der Ukraine, der Schweiz und Frankreich trainierte. Aber deutsche Athleten ohne finanzkräftigen Sponsor konnten sich den international ausgewiesenen Fachmann Steuer nicht leisten.

„Unter Berücksichtigung der persönlichen Entwicklung von Herrn Steuer in den vergangenen Jahren und 25 Jahre nach dem Ende der DDR und seinen Kontakten zur Staatssicherheit“ habe die Kommission ihre Einwände überdacht, heißt es in einer Erklärung des DOSB. Das Votum hat allerdings nur empfehlenden Charakter, und am Dienstag meldeten sich die ersten kritischen Stimmen: Der Doping-Opfer-Hilfeverein (DOH) hält eine Rehabilitierung Steuers für „das ist das völlig falsche Signal im 25. Jahr des Mauerfalls“.

Die Entscheidung über Steuers Finanzierung trifft das Bundesinnenministerium. Ein Ministeriumssprecher kündigte gegenüber der taz eine „grundlegende Prüfung“ an, ließ den Zeitrahmen aber offen. Eine Entscheidung eilt, weil Steuers Toppaar Savchenko/Szolkowy im März seine Laufbahn beendet hat. Die 30-jährige Savchenko hat mit dem Franzosen Bruno Massot einen neuen Partner gefunden und will mit ihm um den Olympiasieg 2018 in Südkorea laufen. Trainer ist Steuer, der auch im Leben der Mann an der Seite der gebürtigen Ukrainerin ist. Laufen sie für Deutschland oder Frankreich, ist nun die Frage. Der französische Verband hat signalisiert, das neue Paar und ihren Trainer zu finanzieren, falls sie für Frankreich starten.

Eine solche Erklärung von Deutschland fehlt, und Ingo Steuer kokettiert seit März mit der ungeklärten Situation. Immer wieder erklärte er, dass ihm lukrative Arbeitsangebote aus verschiedenen Staaten vorlägen. Da der 48-Jährige als Medaillenschmied gilt, klingt das glaubhaft. Steuer ist aber auch sächsischer Lokalpatriot. Nirgends lieber als in Chemnitz will er ein internationales Paarlaufzentrum nach nordamerikanischem Vorbild etablieren. Und auch Chemnitz braucht Steuer und seine Schützlinge. Ohne Savchenko, die A-Kader ist, stünde es schlecht um die Finanzierung des Bundesstützpunkts.

Doch so erfolgreich Steuer auf dem Eis ist, so tolpatschig agiert er auf dem diplomatischen Parkett. Der französische Verband hat bereits signalisiert, dass nicht Steuer allein über die Zukunft des Franzosen Bruno Massot entscheidet, den der Verband freigeben müsste, wollte er für Deutschland starten. Das deutet darauf hin, dass es hinter den Kulissen knirscht. Und der Chemnitzer Freie Presse erklärte Steuer seine Vision, gleich als Bundestrainer zu arbeiten. „Es gibt in Deutschland viele Talente. Wir müssen sie stärker entwickeln, und das sehe ich als eine spannende Aufgabe.“ MARINA MAI

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