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Vorwurf Kryptoantisemitismus

Heftig reagierte Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, auf Veröffentlichungen in der taz und im Berliner „Tagesspiegel“. Anlaß waren Berichte über die fragwürdigen Grundstücksgeschäfte eines Vorstandsmitgliedes

Jerzy Kanal, Vorsitzender der Berliner Jüdischen Gemeinde, die mit heute 10.475 eingeschriebenen Mitgliedern die größte Deutschlands ist, lud gestern zur Pressekonferenz ein, um seiner Sorge vor wachsenden antisemitischen Tendenzen in der Presse Ausdruck zu verleihen. Vor allem der Artikel des Tagesspiegel-Kollegen Malte Lehming vom 8. Dezember des letzten Jahres und der Artikel, aber vor allem der Kommentar der taz-Redakteurin Anita Kugler hatten seinen Zorn erregt. Bereits vor der Pressekonferenz hatte Jerzy Kanal in Leserbriefen an den Tagesspiegel bzw. an die taz scharfe Vorwürfe geäußert, u.a. bezeichnete er Anita Kugler als „faschistoide Kryptoantisemitin“. Auf der gestrigen Konferenz konnte er aber nicht das kleinste Argument nachliefern, das diesen massiven Vorwurf nachträglich hätte begründen können.

Jerzy Kanal wies auf seinen unermüdlichen, 28jährigen Einsatz für den Aufbau der Berliner Jüdischen Gemeinde hin. Für ihn gebe es keine endgültige Antwort auf die Frage, warum er als Überlebender der Shoa nach Deutschland zurückgekehrt sei. Ein wesentliches Motiv sei nach wie vor die Hilfe, die er anderen, vor allem den aus der ehemaligen Sowjetunion emigrierten Juden hätte geben können. Kanal schilderte detailliert das in den fünf Jahren seiner Präsidentschaft Erreichte, Leistungen, die die Presse angeblich herunterspiele. „Wir sind“, sagte er, „keine Skandalgemeinde“.

Auf seine Angriffe gegen Anita Kugler angesprochen, erklärte Kanal, mit Begriffen wie „jüdische Schieber- und Spekulantenbande“ wäre ein Damm gebrochen, der bislang gegenüber dem Antisemitismus gehalten habe. Es focht ihn nicht an, daß Kugler diese Begriffe gerade als Beispiel gewählt hatte, um eine verabscheuenswürdige Ausdrucksweise und Haltung zu brandmarken. Diesen eindeutigen Zusammenhang nahm Kanal nicht zur Kenntnis, obwohl er von mehreren Kollegen darauf angesprochen wurde. Auch unterließ er es trotz Nachfragen der „betroffenen“ Kollegin, zu erklären, was an den inkriminierten Artikeln eigentlich antisemitisch sei und inwiefern gegen Frau Kugler der Vorwurf „faschistoid“ erhoben werden könne. „Wenn diese Pressevertreter“, so resümierte er, „mit meiner Charakterisierung unzufrieden sind“, sollen sie eben zukünftig anders schreiben.

Das Auftreten Jerzy Kanals belegte, daß eine Gemeinde mit reichem, wiedererwachtem Leben gleichzeitig politisch in den Zustand vollständiger Agonie verfallen kann. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Vorstand und den in der „Demokratischen Liste“ vereinten Opposition haben mittlerweile ein Niveau erreicht, vor dem jeder erschrecken muß, dem die Aufbau- und Integrationsarbeit der Gemeinde am Herzen liegt. Kanal weigerte sich, eine Meinung zu den Vorwürfen zu äußern, die gegen die Restitutionsanwältin Simona Reppenhagen, Mitglied des Vorstands (mit derzeit ruhendem Mandat), in Verbindung mit Grundstückskäufen geäußert wurden. Ihr wird vorgeworfen, in mindestens drei Fällen versucht zu haben, den Wert von Immobilien und Grundstücken unterbewertet zu haben, um dmit ihre Mandanten zu veranlassen, die Grundstücke zu einem Preis weit unter dem Verkehrswert zu verkaufen. Als potentieller Käufer trat in allen Fällen der Schwiegersohn von Jerzy Kanal, Giora Podowicz, auf. Kanal dementierte, von diesen Geschäften gewußt zu haben. Über die moralische Seite des Verhaltens von Frau Reppenhagen, die in diesem Zusammenhang auch wider besseren Wissens den antinazistischen Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi als „Ariseur“ bezeichnet hatte, wolle er sich ebenfalls nicht äußern. Die Grundstücksgeschäfte seien Sache des Schiedsgerichts, dem sich aber die „Demokratische Liste“ nicht unterwerfen wolle. Der Vorsitzende der „Repräsentantenversammlung“, Michael Zehden, nannte die Vorgänge eine Wahlkampfstrategie der Opposition. Am 1. Juli finden Neuwahlen statt.

Jerzy Kanal tat sein Bestes, den Vorstand der Jüdischen Gemeinde als transparent arbeitendes, demokratisches und sparsam- effizient vorgehendes Gremium zu charakterisieren. Seine Berufung auf das Erbe des langjährigen Vorsitzenden Heinz Galinski blieb allerdings nicht unwidersprochen, unter anderem brieflich von der Tochter des Verstorbenen. Auch das Finanzgebaren Kanals stieß auf Kritik. Das Gemeindemitglied Schneidermann warf dem Vorstand erregt Verschwendung vor, u.a. durch überhöhte Abfindungssummen. Schließlich wurde aus einem Brief des Anwalts Albert Meyer, Mitglied der Gemeinde und Prozeßvertreter Klaus von Dohnanyis, zitiert, der zu Anfang dieses Jahres zu folgender resignierter Feststellung traf: „Leider (muß ich) zum Ausdruck bringen, daß Sie, sehr geehrter Herr Kanal, und der Vorstand sowie Teile der Repräsentantenversammlung das Ansehen der Jüdischen Gemeinde geschädigt haben.

Es hat keinen Zweck, Sie aufzufordern, die notwendigen Konsequenzen innerhalb des Vorstands zu ziehen, da Sie in der Arroganz der Macht anscheinend jegliches Unrechtsbewußtsein und Realitätsgefühl verloren haben.“ Christian Semler

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