: Mit einem Warhol auf Tuchfühlung
Ganz nah am Fetischismus: Für „Fort!Da!Cooperations“ in der Esslinger Villa Merkel durften sich 19 KünstlerInnen prominente Vorbilder aus dem Museum ausleihen und mit ihren eigenen Arbeiten kombinieren ■ Von Susanne Altmann
Der Staatsgalerie Stuttgart fehlen derzeit einige Stücke: Carl Andres Metallplatten, die „Schreitbahnen“ von Franz Erhardt Walther, Leuchtlettern von Kosuth, dazu Picasso-Radierungen u.v.a. Die Arbeiten sind „FORT!“ – und zugleich „DA!“, keine 20 Kilometer entfernt, in der Villa Merkel/ Esslingen.
Zum Beutezug der „FORT!DA!Cooperations“ hat Renate Damsch-Wiehager als Leiterin und Kuratorin der Villa angestiftet. Von ihr stammt die Idee, 19 internationalen KünstlerInnen die Möglichkeit zu geben, mit Werken aus der Staatsgalerie in einen Dialog zu treten. Von der Schweizerin Sylvie Fleury über den Australier John Nixon bis zum Russen Wadim Zakharov haben die Eingeladenen sich ihre Favoriten des Museumsbestandes aus dem Ankaufszeitraum von 1955 bis 1990 ausgewählt. Die Positionen schwanken dabei zwischen kritischer Bewunderung, distanzierter Analyse und Ironie. Ein Katalog, sachkundig und unterhaltsam, erläutert diverse Motivationen. Ganz nebenbei gibt eine Liste sämtlicher Erwerbungen auch Aufschluß über Präferenzen und Ankaufspolitik der Staatsgalerie in 45 Jahren.
Von einer These Sigmund Freuds ausgehend, wird das Prinzip „FORT!DA!“ nicht als nur kindliches Vehikel zur Bewältigung von Trennungen beleuchtet. Gewöhnlich wird der Fetisch, oft eine Plüschpuppe, vom Kleinkind spielerisch zum Verschwinden gebracht, um es kurz darauf erneut erscheinen zu lassen. Abkehr und forciertes Wiedererscheinen werden in der Villa Merkel zwar mit hehren Kunstwerken unternommen, aber jenes spielerische Moment prägt die Schau wohltuend. Mike Kelleys schmuddeliges Kuscheltier steht da ganz passend als einsame Metapher vor einer „boomboom box“. Auch mit seiner Entscheidung für eine Werkdokumentation Rudolf Schwarzkoglers (neben einem Blatt von Öyvind Fahlström) bleibt der Amerikaner ganz nah am Fetischismus.
Der Maler und Kunsttheoretiker Peter Halley wiederum sprach zur Vernissage über Innovationen, die stets von der Orientierung am Vergangenen gespeist seien. Das erinnerte an Klassiker wie Bazon Brocks Avantgardedefinition oder an der Romantik geschulte Beuys- Interpretationen. Doch hier ging es um die allernächste Vergangenheit. Wie nah, zeigt auch Halleys eigene Vorliebe: leinenbespannte Flächen und Schreitbahnen (1973/78) von F.E. Walther als Kontrapunkt für eines seiner Tafelbilder.
Ähnlich wie bei Walthers Werkbegriff sieht Simone Westerwinter Kunst unbedingt als interaktiv an. Ihre Arbeit kann man tatsächlich betreten: Der rot-weiß karierte Teppichboden gehört zu ihrer Arbeit „Erziehung durch Dekoration“ – und was hätte hier näher gelegen als eine Paarung mit dem rot- weißen Raster von Warhols „Soup cans“? Mit ihrer Entscheidung will die Stuttgarterin neben persönlichen Vorlieben das Phänomen übermäßiger Popularität im Kunstbetrieb thematisieren. Tatsächlich beschränkt sich die Wahl der TeilnehmerInnen – sei es Andrea Fraser (USA) mit Boltanski/ Broodthaers, Ugo Rondinone (CH) mit Gilbert & George oder Pietro Sanguineti (D) mit Kosuth/ Wewerka – fast nur auf „große“ Namen. Kein Wunder, denn Einfluß und Popularität schließen einander nicht gerade aus. Die Installation der Ausstellung folgt den einzelnen Gestaltungen behutsam und vermeidet Auskapselungen von Räumen.
Zu Superlativen reißt vor allem die Gestaltung des Foyers hin: Dort begegnen sich minimalistische Sequenzen von Carl Andre mit Sylvie Fleurys darübergestreuten „Mondrian-Stiefeln“. Die Schuhe mit dem „De Stijl“-Dekor eröffnen weitere Bezüge, und die metallene Rasterfläche Andres korrespondiert wiederum mit der 48teiligen Wandinstallation des Franzosen François Perrodin. Diese Reihungen nehmen die Säulenfolge der Vorhalle perfekt und diskret auf.
Im Eingangsbereich verweist ein Leuchtkasten auf die konzeptuelle Arbeit von Mathis Neidhart (D). Er gründete die fiktive „IMEX“-GmbH. Mit dieser Gesellschaft für „Poesierevitalisierung“ wollte er für die Dauer von „FORT!DA!“ das teuerste ausleihbare Werk, ein Gemälde von de Kooning, bis zum 6. April mit zirka einer Million Mark beleihen und dann für den Zinsüberschuß (8.000 Mark) eine Rolex erwerben. Das war der sonst so kooperativen Staatsgalerie denn doch zu „FORT!“: Zur Eröffnung mußte Neidhart mit einer geliehenen Luxusuhr und seinem Konzept auf den Lippen durch die Villa Merkel wandeln.
„FORT!DA!Corporation“. Bis 6. April, Villa Merkel/Esslingen
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