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Von der Synagogengalerie ins Kinoparkett: Jüdische Frauen im Konflikt zwischen Familientradition und Moderne. Zum Start des 3. Jewish Film Festival kommenden Sonntag im Arsenal  ■ Von Zafrir Cohen

Wenn man will, war „Hester Street“ (1974) eine kleine Zäsur, falls es so etwas wie die Geschichte des „jüdischen Films“ überhaupt gibt. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Joan Micklin Silver nahm eine für das jiddische Kino der dreißiger Jahre klassische Greenhorn-Geschichte (Einwanderer aus Osteuropa machen ihren Weg in New York) und gab ihr den Dreh der siebziger Jahre mit ihrem neuerwachten Interesse an Ethnizität und Frauengeschichten. Die Protagonistin, eine Orthodoxe aus Rußland, folgt ihrem Mann in eine dieser klaustrophobischen Mietschachteln um die Second Avenue herum. Sie wird symbolisch gnadenlos behandelt, aber ihr „Awakening“ ist witzig, nicht didaktisch. Auch das Lokalkolorit wirkt weder pittoresk noch künstlich verwahrlost; und wenn jemand allerliebste Koboldaugen hat, dann ist es Carol Kane, die Hauptdarstellerin, die übrigens zur Eröffnung des Festivals am Sonntag nach Berlin kommt.

Das 3. Jüdische Filmfestival, zusammengestellt von Nicola Galliner von der Jüdischen Volkshochschule und der Familie Gregor, befaßt sich mit dem Thema „Jüdische Frauen im Film“. Da liegt es nahe, daß die prominenteste Regisseurin Barbra Streisand da ist. Ihr Film „Yentl“ von 1983 ist die Geschichte eines Mädchens, das, als Mann verkleidet, versucht, an einer Jeshiwa zu studieren. Sie verliebt sich in einen Mitstudenten, wodurch sich der Plot shakespeareartig kompliziert und an Lustigkeit gewinnt. Gerade in diesem Film, obwohl in humorigem Ton gehalten, wird aber auch der Spagat zwischen der modernen und teilweise liberalisierten Welt des Westens, vor allem Amerikas, und der Welt des traditionellen Judentums, vor allem Osteuropas, angesprochen.

Zwischen Tradition und der modernen Welt steht auch Louise im Film „Louise l'insoumaine“ (Die Rebellin Louise), Frankreich 1985. Louise, Tochter einer traditionellen tunesischen Familie, wächst im Paris der sechziger Jahre auf. Von der politischen Aufbruchstimmung ist zu Hause nichts zu spüren. Beeinflußt von der Fernsehberichterstattung über die Studentenrevolten und vom Fernsehen, rebelliert sie schließlich gegen ihre eiserne Mutter – auch sie natürlich ein Opfer der Unterdrückung der Frau.

Der zweite Film der Regisseurin Joan Micklin Silver ist „Crossing Delancey“ von 1988. Wieder sehen wir eine Frau, die zwischen zwei Welten lebt: Izzy ist eine selbstbewußte und tüchtige Buchhändlerin, doch ist sie fast dreißig und noch nicht verheiratet – Torschlußpanik erfaßt sie. Izzys Oma beauftragt eine Heiratsvermittlerin. Vielleicht aber war dieses Szenario zu dicht am eigenen Leben entwickelt; der Film schleppt sich schwerfällig durch ein paar konstruierte Männerbegegnungen, bei denen man sich zusätzlich fragt, was so jüdisch daran sein soll. „Crossing Delancey“ und „Hester Street“ sind Filme, die aus der Perspektive der emanzipationsfreudigen siebziger Jahre in Amerika gemacht worden sind. Beide zeugen von einem starken Bewußtsein für die eigene Tradition, das aber häufig mit dem Leben der Durchschnittsamerikanerin kaum noch etwas gemeinsam hat.

Die Frauen sind da häufig die Hauptleidtragenden. Denn die jüdische Frau steht, obzwar sie keine 613 Gebote erfüllen muß, im Zentrum der jüdischen familienbezogenen Tradition, die noch konservativer ist als die christliche, wenn es um sexuelle und gesellschaftliche Freiheiten geht. Die eigene Familie und die Verpflichtung gegenüber den Eltern, dies sind die beiden Pfeiler der Tradition in der modernen Gesellschaft, so daß jüdische Frauen es offensichtlich doppelt schwer haben.

Dieses Phänomen ist auch im mexikanischen Film „Novia Que Te Vea“ (Werdende Mutter) von 1993 zu sehen. Zwei junge Frauen, eine aus aschkenasischer, die andere aus sephardischer Familie, haben große Pläne, sei es als Künstlerin oder als politische Aktivistin der Linken, vielleicht sogar an der Seite eines nichtjüdischen Partners. Einmal mehr bahnt sich ein Konflikt an, der in einer urbanen christlichen Mittelstandsfamilie gewiß weniger akut wäre: Der elterliche Ehrgeiz besteht vor allem darin, die Töchterlein mit jüdischen Männern zu verheiraten.

Das Festival zeigt 19 Filme aus den USA, Frankreich, Israel, Großbritannien, Mexiko, Polen und Deutschland, von denen über zwei Drittel von Frauen gemacht worden sind. Bleibt zu hoffen, daß die Filmemacherinnen der siebziger Jahre Nachfolgerinnen finden, die genauso radikal und professionell einen anderen – femininen – Blick weiterentwickeln. Eine besondere Empfehlung gilt dem bisher leider zuwenig beachteten Dokumentarfilm der Berliner Regisseurin Ulrike Ottinger („Exil Shanghai“, 1997), der sechs im gemeinsamen Fluchtpunkt Shanghai sich kreuzende Lebensläufe von deutschen, österreichischen und russischen Juden entrollt.

Aus Erzählungen, Fotos, Dokumenten und neuen Bildern aus der großen und widersprüchlichen Metropole des Fernen Ostens wird ein Ganzes, in dem das historische Exil aktuelle Brisanz gewinnt. Viereinhalb Stunden sitzt der Zuschauer gebannt und merkt kaum, wie die Zeit vergeht.

Jüdisches Filmfestival vom 15. bis zum 24. Juni im Arsenal

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