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Bill Clinton und das große Egal-Feeling

Eine Kloschüssel voller Stiefmütterchen, blühende Landschaften und der Ruf nach Freiheit: Was zwei junge Leute in Eisenach mit dem mächtigsten Mann der Welt bei dessen Besuch im Osten eint – und was sie trennt  ■ Aus Eisenach Patrik Schwarz

In Eisenach wird die Freiheit der westlichen Welt in der Domstraße 18 verteidigt. Schade nur, daß Bill Clinton davon nichts weiß. Der US-Präsident steht zu dieser Stunde auf irgendeiner Tribüne in Berlin und würdigt in feierlichen Worten die Rolle der Luftbrücke alliierter Rosinenbomber. Sie hätten vor genau 50 Jahren die Freiheit der Frontstadt gesichert – für die Freiheit des Westens. Alles Geschichte. In Eisenach, der abschließenden Station von Bill Clintons Deutschlandbesuch, führen Manuel und Jonny den Freiheitskampf der Gegenwart.

Es geht um die Kloschüssel in der Domstraße 18. Sie ist porzellanweiß, hat eine himmelblaue Klobrille und einen Plastedeckel in Muschelform. Obwohl längst außer Gebrauch, wird sie dennoch gut genutzt. Jonny und Manuel, beide 19 Jahre alt und WG-Nachbarn, haben sie mit Blumenerde gefüllt, Stiefmütterchen reingesetzt und sie neben ihrem Hauseingang aufgestellt. Womit das Problem bereits umrissen ist. Die Wohnungsbauverwaltung des Hauses Domstraße 18 wünscht keine Kloschüssel vor ihren Objekten.

Dies ist eigentlch verwunderlich, denn immerhin hat Bundeskanzler Kohl seinen Freund und Kollegen Bill Clinton deshalb ausgerechnet nach Eisenach eingeladen, weil er die Region um die Wartburg für ein besonders gelungenes Beispiel blühender Landschaften hält. Selbst wenn der Kanzler dabei eher an die Fertigung von Bosch, BMW und Opel gedacht haben dürfte – auch die Stiefmütterchen in der Schüssel sprießen ganz ausgezeichnet. Doch die Wohnungsbauverwaltung zeigt sich unbeeindruckt, Sanitäranlagen haben im Freien nichts zu suchen, ob mit Blumen oder ohne.

Daß Bundeskanzler Kohl an Manuel, Jonny und die Kloschüssel denkt, wenn er mit schöner Regelmäßigkeit „die jungen Menschen in den neuen Ländern“ auffordert, Eigeninitiative an den Tag zu legen, darf bezweifelt werden. Umgekehrt empfänden es die beiden aus der Domstraße aller Wahrscheinlichkeit nach als Beleidigung, in die geistige Nähe des Dicken aus Bonn gerückt zu werden. „Wir sind schon 'ne Randgruppe. Wir haben so'n lockeres Hippie-Feeling und dazu den Spaßeffekt der Beat-Generation“, sagt Jonny. Er macht eine Lehre als Heizungsinstallateur, Manuel steckt gerade im Abitur. Angesichts des Clinton-Besuchs, der die ganze Stadt seit Wochen in Aufruhr versetzt, kriegen sie nur „das große Egal-Feeling“.

Und doch: So weit auseinander sind Manuel und Jonny, Helmut und Bill womöglich gar nicht. Als Clinton am Nachmittag auf dem Eisenacher Rathausplatz eine kleine Ansprache hält, hätte darin zum Beispiel gut ein Satz auftauchen können, den Jonny der Wohnungsbauverwaltung entgegenschleudern will: „Wir wollen uns nicht von anderen bestimmen lassen!“

Der Satz des Heizungsinstallateurlehrlings aus Thüringen würde nicht zuletzt deshalb so gut in eine Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika passen, weil es die USA waren, die 40 Jahre lang mit der Parole vom Recht auf Selbstbestimmung Politik machten. Die Gegner, die kommunistischen Regimes des Ostblocks, schienen damals nicht weniger unüberwindbar als der Vorschriftenkatalog einer Eisenacher Wohnungsbauverwaltung heute. So wurde die Forderung nach Freiheit zum spitzesten Pfeil im rhetorischen Köcher amerikanischer Präsidenten: Kein Vorwurf traf die Ostblockstaaten tiefer als die Behauptung, sie versagten ihren Völkern das Recht, ihr Leben selbst zu regeln. Wenn mit dem Fall der Mauer schlußendlich die Freiheit über die Unterdrückung gesiegt hat, dann in den Augen der Amerikaner vor allem deshalb, weil die Vereinigten Staaten standhaft das Selbstbestimmungsrecht der Menschen im Osten einforderten. So wie jetzt Jonny und Manuel hartnäckig die Freiheit beanspruchen, Blumen zu pflanzen, wie und wo sie wollen.

Clintons Visite zeigt natürlich auch die Grenzen der Gemeinsamkeit zwischen dem mächtigsten Mann der Welt und zwei Jugendlichen aus der deutschen Provinz. Während die beiden Deutschen sich mit den Widrigkeiten herumschlagen, die das Streben nach einem selbstbestimmten Leben auch in Nachwendezeiten immer noch mit sich bringt, sind die beiden Staatsmänner in Eisenach vor allem damit zugange, die Früchte der neugewonnenen Freiheit zu rühmen. Die Begleitmannschaft aus dem Weißen Haus wird nicht müde zu betonen, der Abstecher nach Eisenach sei Clintons erster Trip in die ehemalige DDR. Da überdies Bundestagswahlkampf herrscht, ist Gastgeber Kohl doppelt bemüht, seinem Freund aus Übersee den Zustand der deutschen Vereinigung im besten Lichte vorzuführen. Ein Besuch auf der Wartburg, seit dem 19. Jahrhundert Symbol für die Sehnsucht nach nationaler Einheit, paßt als Reverenz an die Vergangenheit ebenso gut dazu wie die Besichtigung des neuen deutsch- amerikanischen Opel-Werks, von dem es heißt, es sei des Kanzlers Lieblingskind.

Angesichts solcher Programmpunkte ist dann irgendwo doch verständlich, daß Jonny und Manuel beim Thema Clinton „das große Egal-Feeling“ überkommt. Andererseits hätten sie sonst vielleicht im Fernsehen gesehen, was der US-Präsident am Vormittag beim Berliner Luftbrückenjubiläum sagte: „Der Kampf für die Freiheit endet niemals.“ Schade also, wie gesagt, daß Bill Clinton nicht weiß, wie in der Domstraße 18 bis auf den heutigen Tag die Werte der westlichen Welt verteidigt werden. Vielleicht hätte er sich ja gefreut. Und womöglich sogar auf Jonnys und Manuels Unterschriftenlisten unterschrieben. US- Präsident unterstützt Blumenklo. Da könnte selbst eine Wohnungsbaugesellschaft weich werden.

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