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Kampf der hausgemachten Krise

Morgen entscheidet der IWF über einen Kredit für Moskau. Derweil versucht auch die Regierung den Etat zu sanieren: mit dem Einsatz von Steuerfahndern  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Bei Jurij Jurkow, Chef der russischen Statistikbehörde, gelang den Fahndern ein satter Fischzug. Hinter Sitzkissen und in Schuhkartons hortete der altgediente Beamte Dollarnoten bündelweise. Nach der Razzia zählten die Fahnder 1,5 Millionen Dollar in bar. Jurkow wird zur Last gelegt, die Kennziffern russischer Unternehmen seit Jahren nach unten frisiert zu haben. Abertausende von Firmen mogeln sich so an der Steuer vorbei. Boris Fjodorow, neuer Chef der Steuerbehörde, verlor ebenfalls keine Zeit. Rußlands Höchstverdiener lädt er in seine Kanzlei vor. Das versprach er zumindest. Seine Eingreiftruppe durchkämmt unterdessen Moskaus Märkte nach Steuersündern.

Rußland steckt in einer tiefen Finanzkrise. Diese Woche verließ der Rubel erstmals seit 1994 den von der Zentralbank vorgegebenen Wechselkurs. Trotz Aussichten auf internationale Finanzhilfe kommen Moskaus Finanzmärkte seit Mai nicht zur Ruhe. Ausländische und russische Banken warfen damals Schatzwechsel (GKO) und Aktien Hals über Kopf auf den Markt und tauschten Rubel gegen Dollar ein. Zweifel taten sich auf, ob Rußland seinen Zahlungsverpflichtungen angesichts eines klaffenden Haushaltsloches längerfristig nachkommen könne. Die Valutareserven der Zentralbank schrumpften auf 14 Milliarden. Das Leitziel, den Rubel stabil zu halten, zwang die Zentralbank, den Zinssatz in schwindelerregende Höhe zu treiben, um Anleger zu halten. Bis Jahresende werden auf dem Binnenmarkt kurzfristige Staatsanleihen von 40 Milliarden Dollar fällig. Statt der im Haushalt 97 veranschlagten 25 Prozent schluckt die Schuldenbedienung mehr als ein Drittel. Steuereinnahmen von zehn Milliarden Rubel stehen Ausgaben von 25 Milliarden gegenüber.

Der Preisverfall des Öls trug erheblich zu diesem Engpaß bei. Dennoch sei die Krise hausgemacht, bekannte Premier Sergej Kirijenko. Ein Krisenprogramm soll die Ausgaben nun um 7 Milliarden Dollar (8 Prozent) senken und Einnahmen um vier Prozent erhöhen. Überdies entscheidet der IWF morgen, ob er nochmals mit einem Milliardenkredit aushilft.

Der IWF zögerte lange. Ohne Reformen, meinte Direktor Camdessus, „würde selbst ein Geldregen von mehreren Milliarden Dollar versickern und Rußland am Ende noch ärmer sein“. Die Haltung des IWF läßt sich nachvollziehen: Drei Programme hat der IWF seit 1993 ausgehandelt, um deren Umsetzung Moskau sich nur wenig scherte. Allerdings brennt es diesmal wirklich. Alle möglichen Szenarien bergen Nachteile. Erhält der Kreml kein Geld, wurstelt er weiter, bis er Zahlungsunfähigkeit bekennen muß. Das Bankensystem würde zusammenbrechen, der Rubelkurs nachgeben, Investoren zögen ab. Die Bevölkerung würde zum dritten Mal in zehn Jahren ihre Ersparnisse verlieren.

Wertet die Zentralbank indes den Rubel ab, sähe es nicht besser aus. Der Schuldendienst würde zwar erleichtert, die psychologische Botschaft wäre aber fatal. Fast alle Banken müßten Konkurs anmelden, und die Masse der Bürger stünde wieder vor dem Nichts. Ganz zu schweigen von Jelzin und seiner Entourage. Nationalisten und Kommunisten stünde der Kreml offen. Kann der Westen Rußland wieder preisgeben?

Die einzige Chance liegt in gemeinsamen Anstrengungen. Weltbank, IWF und G7 müssen erneut aus politischen Erwägungen einspringen, die Regierung aber zum Offenbarungseid zwingen. Gleichwohl wäre das Krisenprogramm kein Schongang. Proteste scheinen im Herbst wegen Kürzungen im Agrarsektor und öffentlichen Dienst unvermeidlich. Die Regierung hätte aber Aussichten, die Schocktherapie zu überstehen.

Um die internationalen Geldgeber gnädig zu stimmen, demonstrierten Kirijenko und Fjodorow Vollzugsbereitschaft: Sie ließen Eigentum des säumigen Gasgiganten Gasprom konfiszieren. Die Kommunisten witterten sogleich einen Versuch des IWF, Rußlands Staatssicherheit zu untergraben. Doch Fjodorow blieb unbeugsam: „Keiner steht über dem Staat, alle werden gleich behandelt.“

Das strebt der neue Steuerkodex an, die tragende Säule des Krisenpakets. Er vereinfacht und vereinheitlicht die Gesetzgebung, deren exorbitante Forderungen von bis zu 100 Prozent des Gewinns Unternehmen zwangsläufig in die Illegalität trieb. „Bisher beruht alles auf individuellen Sonderabsprachen“, meint Ökonom Alexej Uljukajew. 60 Prozent aller Steuereinnahmen stammten von einigen Dutzend Großunternehmen, schätzt Uljukajew. Die Masse der Bürger ist von direkten Steuern ausgenommen, einer von zehn zahlt Einkommenssteuer. Der Duma liegt der Kodex zur Abstimmung vor. Er strebt eine breitere Streuung der Belastungen an und bietet dem produzierenden Gewerbe Erleichterungen.

Die oppositionelle Duma lehnte bisher alle Novellen ab, die dem Staat nennenswerte Zusatzeinkünfte garantiert hätten. Eine Verkaufssteuer, mit deren Hilfe die Regionen Angestellte entlohnen sollten, wiesen die Parlamentarier ebenso zurück wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Schwenkt die Duma am Ende nicht ein, drohte Jelzin, das Parlament aufzulösen. Bisher hat das seine Wirkung nie verfehlt. Noch ruhen sich die Bürger auf ihren Datschen aus. Wenn sie gegen Ende des Sommers nach Hause kommen, geht es womöglich gleich ans Eingemachte.

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