: Pussy am Ostbahnhof
■ Ein neuer Club lockt mit Milch, Mina, sozialistischem Charme und Panoramablick
Sie sind ja nicht wirklich einladend, Orte wie der Alexanderplatz oder der Hermannplatz. Doch sie erfüllen ihren Zweck, und manchmal müssen auch Nachtlebenmenschen sich mehr als nur des Umsteigen wegen mit ihnen beschäftigen. Seit einigen Wochen kann man so auch die Gegend um den Ostbahnhof mal aus einer neuen Perspektive kennenlernen. Hier gibt es in einem alten Postgebäude direkt gegenüber dem Bahnhof einen neuen Club, der mal gar nicht, mal „Pussy“, mal „Maria am Ostbahnhof“ heißt. Egal wie er auch heißt, was ihn auszeichnet, ist mal wieder der spröde Charme des vergangenen realexistierenden Sozialismus. Hatten wir ja erst bei BerlinBETA und den Jugendfestspielen in der Kongreßhalle, ganz alte Recken erinnern sich vielleicht noch an das „Come-In“ auf einem alten Defa-Gelände in Adlershof.
Auch dieser Club empfängt einen mit viel Platz und Raum gepaart mit dem typischen Desinfektionsmittelmuff. Gleich in der Eingangshalle befindet sich rechterhand die wie üblich improvisiert wirkende Theke, davor Hocker, alles dämmerig-funzelig beleuchtet. Ein paar flache Treppenstufen höher kommt der reichlich dunkle und deprimierende Tanz- und Konzertraum. In diesem kann man, wie am vergangenen Freitag, Bands wie Milch gucken. Deren Auftritt paßte ganz gut, denn Milch fügten sich mit ihrem Retro- Disko-Schlackersound ideal in die Umgebung. Vergangenen Zeiten und Chancen nachtrauern, wieder auf die Füße fallen, welcher Art auch immer: Milch, die schon mal einen Vertrag bei Tim Renners Motor Music in der Tasche hatten, dann aber wieder gedroppt wurden, wissen davon ein Liedchen zu singen.
Andererseits beruhigte ihre Anwesenheit Leute, die hier ein zweites Stellwerk witterten, und schließlich kommen die Betreiber auch aus dem Elektronauten-Surrogat- und Kitty-Yo-Umfeld und ziehen das dementsprechende Publikum an. So kann man hier mit Christiane Rösinger sprechen über ihre Pläne mit Britta, über zwei neue alte Lassie-Singers-Alben und auch einen endgültig letzten Auftritt im November. Man erfährt, daß das Jeans-Team noch nicht so recht weitergekommen ist mit einem Label-Vertrag, daß Wohnung immer noch traurig über ihre Auflösung sind, und sieht auch so Prominente wie das Spielkreis- Covergirl. Wenn alles nichts hilft, geht man in die zweite Etage und erfreut sich sitzenderweise an einem nicht unschönen Rundumpanoramablick und weiß dann, daß es drinnen noch immer schöner ist als draußen. Und wegen komischer Tanzperformances wie auf den Jugendfestspielen braucht hier nun wirklich keiner seinen Platz in der ersten Reihe aufgeben. Gerrit Bartels
An der Straße der Pariser Kommune 8–10, Fr. und Sa. ab 23 Uhr. Heute abend spielen übrigens Mina
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