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Jewgeni Primakow hat den Hilferuf seines Präsidenten erhört. Rußlands Außenminister soll neuer Premier werden. Jelzins Kompromißkandidat wird wahrscheinlich eine Regierung bilden, in der sich Kommunisten und Reformer die Waage halten. Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Primakow: Ein Mann für alle Fälle

Das Ringen um einen Kandidaten hat ein Ende. Rußlands Außenminister Jewgeni Primakow hat sich gestern nach mehrmaligen Gesprächen mit den Fraktionen breitschlagen lassen, den derzeit undankbaren Job des Kabinettchefs zu übernehmen. Der 68jährige Primakow, der dafür bekannt ist, das Rampenlicht nicht unbedingt zu suchen, hatte zunächst dankend abgewunken, als Grigori Jawlinski, der Chef der reformorientierten oppositionellen Jablokofraktion, ihn vorschlug. Heute will die Duma über den Kandidaten abstimmen.

Es galt, den Stellungskrieg zu überwinden, der Präsident und Parlament lahmlegte. Der Chef des Außenministeriums schien der einzige Kompromißkandidat zu sein, auf den sich alle Fraktionen des Parlaments und Präsident Jelzin ohne Vorbehalte einigen könnten. Zudem hegt der Orientalist und Nahostexperte keine Ambitionen auf das Präsidentenamt im Jahr 2000. Mithin kann er sich den wirklichen Problemen des Landes widmen, ohne sich in den moskauüblichen Machthändeln zu verausgaben.

Es überrascht nicht, daß der altgediente Apparatschik am Ende doch den Hilferuf Boris Jelzins wohlwollend aufnahm. Im Gegensatz zu den unzähligen Hurrapatrioten in der politischen Arena Rußlands bedeutet ihm Verantwortung gegenüber dem Land mehr als nur eine propagandistische Leerformel. Obwohl seit Jahrzehnten Teil der sowjetischen Nomenklatura, hat er sich deren Zynismus nicht zu eigen gemacht.

Wie wird Primakow nun im Innern verfahren? Über seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen ist nur wenig bekannt. Er gilt indes als Zentrumspolitiker, der sich nicht gegen Kompromisse sträubt. Voraussichtlich bildet er eine Regierung, in der sich Kommunisten und reformorientierte Kräfte die Waage halten.

Grigori Jawlinskis Chancen, die Leitung des Wirtschaftministeriums zu übernehmen, steigen. Sollte das Angebot an ihn herangetragen werden, könnte sich der sozialdemokratisch orientierte Vorzeigeoppositionelle nicht mehr ohne Gesichtsverlust aus der Affäre ziehen. Für das Rußland in der Krise wäre es ein wichtiges Signal: Trotz Desintegrationstendenzen und Wirtschaftskollaps werden die Uhren nicht zurückgestellt. Das Land hält dennoch Kurs auf Demokratie und Marktwirtschaft.

Auch Armee und Geheimdienst dürften die Ernennung Primakows begrüßen, der 1991 nach dem Augustputsch der Kommunisten mit der Leitung des KGB beauftragt wurde. Eine Rebellion der Sicherheitskräfte, ohnehin wenig wahrscheinlich, droht dem schwankenden Kreml nun mit Sicherheit nicht. Als der Chef des russischen Auslandsspionagedienstes Anfang 1996 in das Amt des Außenministers überwechselte, reagierte der Westen nervös, sah bereits Gewitterwolken über Moskau aufziehen.

Keinerlei Ambitionen, Präsident zu werden

Allein die äußere Erscheinung des neuen Auslandschefs reichte, um eine deutliche Kursänderung vorauszusagen. Dem freundlichen, wenn auch aalglatten jungen Kosyrew folgte ein grimmig dreinschauernder älterer Mann, der vom äußeren Habitus alle Attribute eines sowjetischen Apparatschiks aufwies. Zudem hatte ZK-Mitglied Primakow seit Leonid Breschnew allen Generalsekretären der KPdSU als Berater gedient. Daß er in den achtziger Jahren das neue sowjetische Konzept der Außenpolitik mit entworfen hatte, die die Ideologie des Revolutionsexportes für obsolet erklärte, ging dabei unter.

Erwartungsgemäß setzte der gebürtige Kiewer andere Prioritäten als sein Vorgänger. Hauptaugenmerk galt den ehemaligen Republiken, die er sofort nach Amtsantritt bereiste, noch bevor er sich mit seinen westlichen Kollegen traf. Dennoch gelang es auch ihm nicht, die Abkehr der ehemaligen Satelliten der GUS von Rußland aufzuhalten. Immerhin beschwichtigte er durch seine Bemühungen die innenpolitische Opposition.

Jewgeni Primakow ist Realist genug, um zu wissen, daß Macht und Einfluß ohne wirtschaftliche Potenz nur mit Gewalt und erheblichen Kosten erreicht werden können und innenpolitisch destabilisierend wirken. Obwohl er gelegentlich in Versuchung gewesen sein mag, räumte er in der Vergangenheit politischen Zielen keinen Vorrang vor ökonomischen Rentabilitätskriterien ein.

Primakow hat sich bemüht, trotz Akzentverschiebungen die Außenpolitik gegenüber dem Westen nicht durch unnötige Turbulenzen zu belasten. Allerdings oszillierte seine Politik zwischen den Polen Konflikt und Kooperation, Partner und Widerpart, um ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Insbesondere nach dem Beschluß zur Nato-Osterweiterung schaute sich das Außenministerium nach alternativen Partnern um und versuchte, alte Freundschaften wiederzubeleben. Es blieb indes bei einer aktiveren Besuchsdiplmatie, die bisher noch keine konkreten Ergebnisse zeitigte.

Dabei kennt die Partnersuche weder ideologische noch religiöse Hindernisse. Moskaus Buhlen gilt China und dem Iran gleichermaßen. Wesentlich verständnisvoller verfährt Primakow auch im Umgang mit dem Irak. Den ehemaligen Nahost-Korrespondenten verbindet eine persönliche Freundschaft mit Saddam Hussein. Dennoch gelang es ihm als Sonderemissär Präsident Gorbatschows 1991 kurz vor Ausbruch des Golfkrieges nicht, den Diktator zum Einlenken zu bewegen.

Primakow schätzt gute Beziehungen zum Westen

Versuche, im Schulterschluß mit China der US-amerikanischen Dominanz entgegenzuwirken, kamen indes nicht recht vom Fleck. Die Chinesen verhalten sich gegenüber russischen Annäherungsversuchen eher vorsichtig. Für Irritationen sorgte Primakows Ministerium durch den Export von Nukleartechnologie in den Iran.

Der designierte Premier zählt nicht zu den Hardlinern. Er hat bewiesen, daß ihm an der Integration in europäische Institutionen wie dem Europarat und einem kooperativen Verhältnis zum Westen gelegen ist. Aufmerksamkeit verdiente sein öffentlich bekundetes Verständnis für den Wunsch der Polen, aus Angst vor den übermächtigen Nachbarn Deutschland und Rußland in die Nato aufgenommen zu werden. In der öffentlichen Diskussion wird der gemeinsame Überfall auf Polen 1939 immer noch nicht als imperialistischer Akt begriffen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste.

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