: Preiswert scheitern
■ Verdienstvoll: Wohl erstmals dringt das Fernsehen in das faszinierende Universum Baumarkt vor ("Auf Dübel komm raus - Von Heimwerkern und anderen Menschen", 21.45 Uhr, ARD)
„... bis man mal dahinterkommt, was die überhaupt machen wollen“, klagt der kummersatte Baumarktleiter über jene Sorte Kundschaft, die wohl will, aber nicht so richtig kann.
Selbermachen nämlich, heimwerken also, aus-, um- oder anbauen. Die legendären vier Wände mit eigener linker Hände Arbeit auf Vordermann bringen, Carports zusammenzimmern, augenscheinliche Ruinen in bewohnbare Familienunterkünfte verwandeln, Kuhställe in Hobbyateliers und Scheunen in Restaurants umfunktionieren.
Das deutsche Heim ist eine Bauerdaustelle. Der Idealzustand „Gemütlichkeit“ wird im Gegensatz zu der landläufigen These eben nicht durch seine Bewohnung, sondern durch zyklische Veränderung hergestellt: „Wenn's mir nicht gefällt, reiß' ich's wieder runter“, sagt die putzmuntere Urgroßoma und zwingt den dazugehörigen, wohl durch ehelange Umbauzwangsverpflichtung in Demut verstummten Opa zum Strukturtapetekleben wieder auf die traute Haushaltsleiter.
Einmal im Jahr, sagt die Urgroßmutter, müsse es schon mal sein, daß „alles neu“ gemacht werde. Und warum? Ganz einfach, weil's dann einfach alles schöner sei.
Es ist aber nicht nur diese schiere, unschuldige Lust am Renovieren, die die massige Baumarktkundschaft zwanghaft in die mindestens 50.000 Artikel umfassenden Gänge der Heim- und Hobbybedarfspaläste treibt, Wer sich den Traum vom eigenen Heim nicht von teuren Handwerkern erfüllen lassen kann, der muß eben selbst zur Schüppe oder zum Fliesenschneider greifen.
Zwar reicht dann die knappe Zeit nicht mehr dazu, das vom nervenfressenden Durchbruchstemmen, Paneelennageln und Fliesenschneiden gezogene offene Magengeschwür auch noch in ärztliche Behandlung zu geben. Was aber ist ein dauerhaft zerstörter Verdauungstrakt schon gegen den gelungenen autodidaktischen Aufbau eines prachtvollen Badezimmers in römischer Rund-um-Freskenverfliesung „Leonardo da Vinci“?!
Ursula Höltermanns Fernsehreportage „Auf Dübel komm raus – Von Heimwerkern und anderen Menschen“ ist ein sehr verdienstvoller Film. Wohl der erste, der im deutschen Fernsehen auf einem prominenten Sendeplatz in das faszinierende Universum Baumarkt vordringt.
Etwas hinterhältig fragt die Autorin zu Beginn, warum Menschen sich so etwas antun? Warum sie sich in Arbeiten versuchen, die sie nicht gelernt haben und vielleicht auch niemals je beherrschen werden? Warum sich jährlich 250.000 Deutsche beim Heimwerken verletzen?
Der Film ist leider viel zu kurz, um diese wichtigen Frage zu beantworten. Ist aber auch nicht nötig. Wir Baumarktkunden ahnen baustaubgrau schon längst die tiefe Wahrheit: Weil wir nirgendwo sonst so preiswert scheitern. Fritz Eckenga
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