: Vorauseilende Reparaturarbeiten
Der Finanzminister will auch die staatlichen Zuschüsse zur Künstlersozialversicherung kürzen. Nur hat er gar nicht verstanden, wie sie funktioniert. Jetzt muss Michael Naumann ran und erklären, wie es um die soziale Lage der Künstler steht ■ Von Brigitte Werneburg
Die rot-grüne Regierung und ihre Gesetzesreformen, die stets nach hinten losgehen: Das ist die niemals endende Geschichte, die wir uns mit der Bundestagswahl 1998 eingeheimst haben. Heute wird sie um ein weiteres Kapitel verlängert, das freilich mit Gesetzesannahme als ungeschrieben gelten soll. Opfer sind diesmal die Künstler und Autoren und ihre vor 16 Jahren als genuine Errungenschaft der sozialliberalen Koalition gefeierte Sozialversicherung.
Das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) will auch ihnen, den oft verkannten Genies ebenso wie den fleißigen Dienern des Geistes, den Schutz vor Krankheit und Alter zukommen lassen, den gewöhnliche Angestellte und Arbeiter genießen. Möglich ist das freilich nur mit Hilfe einer Fiktion. Den freien Künstlern, die keinen Arbeitgeber haben, der für sie Beiträge in die Kranken- und Rentenkasse zahlt, werden im Gesetz hilfsweise der Bund und die so genannten Verwerter, Zeitungs- und Musikverleger etwa, als solcher Arbeitgeber zugeordnet. Staat und private Unternehmen spielen seither recht erfolgreich die Rolle des öffentlichen Mäzens, der seine Künstler nicht verkommen lässt.
Die Sonderregelung für die Künstler ist ein europäisches Unikum. Es belastet marktwidrig die Verwerter, die denn auch prompt das Bundesverfassungsgericht anriefen, um diesen ideellen Mitarbeitertross wieder loszuwerden. Doch 1987 entschied das Gericht, dass die Sache rechtens sei: Der Zwangsbeitrag der privaten Unternehmen entspringe sehr wohl einer „spezifischen Solidaritätsbeziehung“, die aus den „auf Dauer ausgerichteten, integrierten Arbeitszusammenhängen zwischen Künstlern und Verwertern“ herrühre.
Gewiss müssen selbst Politiker dieses Urteil zweimal lesen, um seine Logik zu verstehen. Nach dem Gesetz zahlt der Staat den Zuschuss für die so genannten Selbstvermarkter, etwa Künstler, die ein Bild ohne Vermittlung einer Galerie direkt an den privaten Sammler verkaufen. Weil hier kein Verwerter in die solidarische Einstandspflicht genommen werden kann, kommt der Bund stellvertretend auf. Nur so ließ sich die Verfassungsbeschwerde abwehren. Der Erfolg hatte freilich seinen Preis: Die staatlichen Beiträge zur Künstlersozialkasse liegen heute bei 170 Millionen Mark im Jahr.
Darüber, ob dieses Steuergeld gut angelegt sei, lässt sich streiten. Immerhin sind damit heute über 100.000 Künstler versichert, deren durchschnittliches Jahreseinkommen aber statistisch nur exakte 21.428 Mark beträgt. Das Gesetz verschafft ihnen eine anständige Krankenkasse, aber was die Rente anbelangt, sind sie nach wie vor auf die Sozialhilfe angewiesen. Schon deshalb müsste das KSVG novelliert, müsste nach den Verwertern geschaut werden, etwa den neuen, multimedialen Verwertern, die bislang noch gar nicht zur Kasse gebeten wurden.
Doch just das, was als Reform einer für Reformen gewählten Regierung sinnvoll oder wenigstens erwägenswert wäre, steht nicht auf der Tagesordnung des Kabinetts Schröder. Es leistet sich stattdessen eine Wiederholung seiner Dramaturgie der Hammerschläge, um deren vorhersehbare Folgen sich nachher die hauseigenen Reparaturtrupps kümmern müssen. In letzter Minute erging an Michael Naumann, den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien (BKM), der Auftrag, einen Bericht über die soziale Lage der Künstler in Deutschland vorzulegen. Bis zum 30. März 2000 hat Naumann dafür Zeit. Auftraggeber ist der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, der die Maßnahmen zum Künstlersozialversicherungsgesetz, die heute im Artikel 24 des Haushaltssanierungsgesetzes verabschiedet werden, wieder aussetzt. So lange, bis Naumann herausgefunden hat, wie es denn um die Künstler in Deutschland steht.
Warum eigentlich, fragt man sich, muss Rot-Grün immer zuerst beschließen und dann nachdenken. Beschlossen wird nämlich, dass die Bundeszuschüsse an die Künstlersozialkasse von 25 auf 20 Prozent sinken und die bisher in den Sparten Wort, Musik, bildende und darstellende Kunst jeweils unterschiedlich erhobenen Abgabesätze der Verwerter vereinheitlicht werden. Was dieser Eingriff in die Pflichten der Privatunternehmer mit der Haushaltssanierung zu tun haben soll, kann niemand erklären. Marginale Einsparungen ergeben sich vielleicht bei den Verwaltungskosten der Künstlersozialkasse. Der Verdacht, dass unter dem Vorwand des Sparens ohne Gesetzesnovellierung eine Strukturreform der KSK angesteuert wird, ist schwer zu widerlegen, zumal der Haushaltsausschuss offenbar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht kennt, das nicht nur für die Verwerter, sondern auch für den Staat gilt. Die 35 Millionen Mark, die mit der Kürzung der Bundesmittel den Künstlern entgehen, sollten nämlich nach Meinung der rot-grünen Parlamentsmehrheit schlicht von den Verwertern ersetzt werden. Doch eben eine solche Verschiebung der Lasten haben die höchsten Richter seinerzeit mit dem Argument verboten, eine Abgabe für brotlose Künstler sei den Unternehmen nur dann – und mit differenzierten Abgabesätzen – zumutbar, wenn der Staat sich seinerseits um diejenigen kümmert, die ihre Werke ganz allein zu Markte tragen.
Der Anteil dieser kategorisch freien Geister an der Gesamtzahl der Künstler, die in den Genuss des Gesetzes kommen, ist niemals von der Finanzlage des Staates abhängig. Zur Zeit der Gründung der KSK lag er bei 17 Prozent, heute wird er auf jene 25 Prozent geschätzt, die der Haushaltsausschuss in erstaunlicher Ahnungslosigkeit um die Sache mal eben um fünf Prozent senken will. Peter Zombik, der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft e. V., hat in einem Brief an die Abgeordneten bereits formuliert, dass sein Verband „eine Verfassungsbeschwerde ernsthaft erwägen“ müsse. Doch daran, dass die Verwerter womöglich nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern auch den Europäischen Gerichtshof anrufen und wegen Wettbewerbsverzerrung gegen das KSVG klagen könnten, möchte zum Beispiel die SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien wie auch im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Angelika Krüger-Leißner, gar nicht erst denken. Die Chancen, dass den Verwertern dort Erfolg beschieden sein könnte und sie damit überhaupt aus dem KSVG entlassen wären, sind nicht schlecht. Ziemlich gleichgültig, was Naumanns Feldforschung zutage fördert, die jahrelang erfolgreiche, wenn auch bescheidene Künstlersozialversicherung wäre gescheitert.
Doch ein Unglück kommt bekanntlich selten allein. Ausgerechnet das Kabinett Schröder mit dem ersten Kulturstaatsminister der Republik hat mit einem weiteren Gesetz dafür gesorgt, dass der Bund seine Zahlungspflicht kaum wird kürzen können. Denn das so genannte Gesetz gegen die Scheinselbstständigkeit untergräbt eben jene auf Dauer angelegte Solidarbeziehung, die heute noch die Verwerter verpflichtet, Sozialabgaben für freie Mitarbeiter zu bezahlen, deren allzu integrierten Arbeitszusammenhang mit ihrem Unternehmen sie nicht kennen mögen. Eine solche Beziehung erzwingt nach dem neuen Gesetz eine Festanstellung, an der oft beide Seiten kein Interesse haben. Um ihr zu entkommen, müssen nun etwa Autoren nachweisen, dass sie keineswegs von einem bestimmten Verlag abhängig sind, was ihnen am ehesten gelingt, wenn sie sich als Selbstvermarkter definieren. Damit wächst aber der Anteil der freien Künstler, für die nach dem geltenden Recht allein der Staat beitragspflichtig ist.
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