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Der Dollar knutscht den Euro

■ Euro doch nicht unter die magische Ein-Dollar-Grenze gefallen. Zentralbank gibt sich gelassen, doch Währungsspezialisten schließen weiteren Sinkflug nicht aus

Berlin (taz) – Ottmar Issing, der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, braucht seine 92-jährige Mutter in diesen Tagen notwendiger denn je: Um den Journalisten zu erklären, dass der Sinkflug des Euro keineswegs dramatisch ist. Laut seiner Aussage macht sich die alte Dame Sorgen um den D-Mark-Ersatz, den ihr Sohn entscheidend mit beaufsichtigt. Doch er beruhige sie regelmäßig mit: „Der Euro wird bald wieder steigen.“

Das tat die Währung der 11 EU-Länder gestern auch: Sie fing sich nach ihrem montäglichen Allzeittief von 1,005 Dollar gestern bei etwa 1,010. Das ist zwar immer noch mehr als ein Drittel weniger als bei ihrer Einführung im vergangenen Januar. Aber die Schallmauer von 1 Euro = 1 Dollar wurde erst einmal nicht durchbrochen. Ob die stetigen Beruhigungen Issings anderer EZB-Mitglieder für die Devisenhändler in Zukunft überzeugender klingen als bisher, ist noch unklar.

„Man muss die Entwicklung nicht dramatisieren. In D-Mark zu Dollar umgerechnet sind wir nun wieder etwa auf dem Stand von Anfang 1998“, meint Wim Köster, Direktor des Instituts für Europäische Wirtschaft an der Ruhruniversität in Bochum. Köster hatte zusammen mit anderen Volkswirtschaftlern öffentlich für eine spätere Einführung des Euro plädiert. Für Köster wird der Euro langfristig nicht unter den Dollar sinken. „Aber es zeigt sich, dass die EU-Wirtschaftsmotoren Deutschland und Frankreich nicht hinreichend auf den Euro vorbereitet waren.“

Signale wie die Rettung des bankrotten Baukonzerns Philipp Holzmann durch die Bundesregierung seien für das Vertrauen in die deutsche Wirtschaftspolitik „verheerend“. Sie zeigen nach der Meinung der Beobachter, dass sich die Regierung immer noch unzulässig einmische. Und die Opposition in Deutschland steht derzeit ja auch nicht gerade optimal da.

Neben den Politikern misstrauen die Währungshändler auch der Europäischen Zentralbank selbst. Im Gegensatz zur US-Notenbank ist noch unklar, wie standhaft die Euro-Hüter ihre Währung bei einer Wirtschaftskrise mit starkem politischem Druck aus den Mitgliedsländern hüten werden. Und die EZB spricht auch nicht mit einheitlicher Stimme. So erklärte zum Beispiel Präsident Wim Duisenberg am Freitag, er sei bei einem weiteren Rückgang des Euro besorgt. Sein EZB-Ratskollege Domingo Solans hingegen sagte am Samstag in Madrid, die EZB habe zur Zeit keine Interventionspläne an den Devisenmärkten. Es gibt jedoch auch tieferliegende Gründe als nur das Image der Politiker und Währungshüter im Euroraum. Schließlich boomt die US-Wirtschaft weiterhin auf wundersame Weise. Selbst der jüngste Ölpreisschock mit Preissteigerungen von zehn auf 26 Dollar pro Barrel innerhalb eines Jahres konnte die Inflation im Land der unbegrenzten Spritschlucker nicht nach oben treiben. Die vorhandenen Wachstumsaussichten der Euro-Zone sind viel geringer als diejenigen der USA oder Ostasiens.

Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, machte in der Welt am Sonntag einen Vorschlag, wie sich die EZB den starken Dollar zu Nutzen machen könnte: Die Dollar-Überschussreserven verkaufen und so Schulden in den Euro-Staaten tilgen. So haben es laut Walter die Schweizer gemacht. Aber die sind ja auch noch alleinstehend und damit wendig.

Reiner Metzger

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