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Ein Spiegel der Gesellschaft“

■  taz-Serie „Neu in Berlin“ (7): Der SPD-Abgeordnete Ottmar Schreiner mag das Gefühl, an einem geschichtsträchtigen Ort zu leben – auch weil es von seiner Wohnung nicht weit bis zum Reichstag ist

Ottmar Schreiner (53), ehemaliger Bundesgeschäftsführer der SPD, heute einfacher Bundestagsabgeordneter: Ich habe nach intensiver Suche eine wunderschöne Wohnung in Berlin gefunden. Sie liegt am Kupfergraben, in unmittelbarer Nähe des Pergamonmuseums – in einem fast italienisch anmutenden Hinterhof. Ich wohne hier sozusagen in der Wiege Berlins – die Entwicklung Berlins zur Stadt und letztendlich zur Großstadt hat genau hier ihren Ursprung. Ich mag und interessiere mich sehr für Geschichte – und das Gefühl, an so einem geschichtsträchtigen Ort zu wohnen, hat für mich schon einen gewissen Reiz. Außerdem kann ich von hier aus zu Fuß zum Reichstag und zu meinem Büro gehen oder auch mit dem Fahrrad fahren.

Wichtig ist für mich auch ein Platz zum Joggen. Das mache ich seit zweieinhalb Jahren. Ich versuche, immer auf ein festes Wochenpensum von vier Stunden zu kommen. Je nach Wetter und Laune laufe ich entweder im Monbijoupark oder im Tiergarten. Manchmal, gerade frühmorgens laufe ich auch durch die Straßen, an der Alten Wache, dem Zeughaus und der Nationalgalerie vorbei und lasse meine Gedanken „trudeln“.

Berlin ist eine Stadt mit einer ungeheuren Dynamik. Brennpunkt zwischen Ost und West. Aber auch sozialer Brennpunkt. Berlin spiegelt den Spannungsbogen wider, den wir in der Gesellschaft haben.

Zum Beispiel haben wir die Parteizentrale, das Willy-Brandt-Haus, nicht im Regierungsviertel, sondern in Kreuzberg gebaut. Es kann der SPD nur nutzen, in einem Stadtteil, in dem die soziale Realität sichtbar ist, beheimatet zu sein. Dies unterscheidet Berlin von Bonn.

Als Student habe ich von 1968 bis 1970 in Berlin gewohnt. Ich habe Berlin als geteilte Stadt kennen gelernt und damals mit dem Tagesvisum relativ oft Ost-Berlin besucht. Heute wächst die Stadt zusammen. Vor einigen Wochen traf ich eine Ostberliner Bekannte aus meiner Studienzeit. Ich war gerührt, als wir mit der „Rollenden Parteizentrale“ aus Bonn ankamen und sie im Willy-Brandt-Haus auf mich gewartet hat. Sie hatte in der Zeitung gelesen, dass ich hier ankomme, und hat mir ein Buch geschenkt.

Die Ostdeutschen haben sich bisweilen eine Art von Herzlichkeit und Offenheit bewahrt, die viele Westdeutsche verloren haben. Ich freue mich auf viele interessante Begegnungen und Gespräche. Schon jetzt habe ich das gute Gefühl, hier wirklich zu Hause zu sein – auch, wenn mein Saarland mich natürlich nie vollständig „entlässt“. Zugehört hat

Annette Rollmann

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