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Vom Pennen und Poofen

Auch Würmer und Fliegen machen dann und wann ein Nickerchen. Warum nur? Mensch und Tier müssen schlafen, damit ihr Gehirn Ordnung schaffen kann. Diese und weitere Einsichten sind in „Das Schlafbuch“ von Peter Spork zu finden

Fast jeder neigt dazu,sein Schlafbudget zu knapp zu bemessen

VON CHRISTIAN WEYMAYR

Fliegen und Würmer teilen mit uns Menschen zumindest eine sympathische Eigenschaft – sie schlafen. Woher kommt dieser im ganzen Tierreich verbreitete Hang zum Pennen und Poofen? Es ist das Gehirn, so weiß man heute, das öfter mal ein Päuschen braucht, oder besser gesagt: für sich sein möchte. Während Herz, Lunge und all die anderen Innereien stoisch ihre Pflicht erfüllen, hat sich das zentrale Nervensystem auf den steten Wechsel aus Wachen und Schlafen kapriziert. Wie aktuelle Untersuchungen zeigen, nutzt es das Wegtauchen vor allem dazu, aufzuräumen: Wichtige Erinnerungen werden ordentlich abgespeichert, unwichtige gelöscht.

Es ist deshalb „Unfug“, sagt er Wissenschaftsjournalist Peter Spork, wenn manche Menschen behaupten, dass alles, was wir je erlebt haben, irgendwo im Gehirn sein Plätzchen hat. Was einmal im Schlaf aussortiert wurde, bliebt auf Ewig vergessen. Und das ist gut so, denn die Sturzflut an Informationen, die das Gehirn im Wachen überschwemmt, würde es in kurzer Zeit ertränken. Auch im Alter kommen deshalb nur Erinnerungen hoch, die früher einmal wichtig waren und fest abgespeichert worden sind. Spork muss es wissen: Der promovierte Neurobiologe hat gerade Das Schlafbuch geschrieben, ein höchst unterhaltsames Werk für ausgeschlafene Leser, für das er die aktuelle wissenschaftliche Literatur gesichtet und mit den bedeutendsten Schlafforschern geredet hat.

Dass auch Würmer schlafen, liefert nicht nur spannenden Lesestoff: Es ist zum einen der Beweis, dass Schlafen kein Tribut der Säugetiere an ihre hochtourige Lebensweise ist, sondern eine grundlegende Notwendigkeit tierischen Lebens. Und es bietet Forschern einen Zugang zu den genetischen Grundlagen des Schlafs, denn Fruchtfliege und Fadenwurm sind beliebte Modellorganismen, deren Mutanten Einblicke in die grundlegenden Mechanismen des Lebens geben. Nun gilt es also, schlafgestörte Würmer- und Fliegenmutanten zu finden.

Beim Menschen sind bislang 88 Schlafkrankheiten bekannt. Ihnen gemeinsam ist, dass die fragile Steuerung des Schlafs im Gehirn nicht funktioniert: Wenn äußere Signale, Hormone und innere Taktgeber aneinander vorbeizielen, können die Patienten nicht mehr ein- oder durchschlafen. Sie verlieren Lebensqualität, sind wenig belastbar und werden ernstlich krank. Was viele unterschätzen: Fast jeder neigt dazu, sein Schlafbudget zu knapp zu bemessen. Das zeigte ein Versuch mit 24 Testpersonen, die – ähnlich wie unsere Urahnen im Winter – vier Monate lang täglich 14 Stunden in Dunkelheit verbringen mussten. Zunächst schliefen die Probanden, was das Zeug hielt, denn offenbar hatte jeder ein Schlafdefizit abzuarbeiten. Nach vier Wochen pendelte sich ihr Schlaf auf gut acht Stunden ein, aufgeteilt in zwei mal vier Stunden mit einem vierstündigen Dösen dazwischen.

Zu ihrer Verwunderung hatten sie, wie sie begeistert berichteten, in den Stunden ihres Wachseins ein „kristallklares“ Bewusstsein. „Offenbar weiß niemand mehr“, so Studienleiter Thomas Wehr von den Institutes of Health in den USA, „wie es ist, hellwach zu sein.“

Schlafmangel macht, schreibt Peter Spork in seinem Buch, nicht nur krank, sondern auch dumm. Denn eine der Hauptaufgaben des Schlafes scheint darin zu bestehen, am Tag Gelerntes dauerhaft zu erinnern. Die Forscher interessieren sich dabei vor allem für den Tiefschlaf. Hier geschieht nämlich Seltsames: Große, gleichmäßige Erregungswellen ziehen über das Gehirn.

Diesen Effekt konnte jetzt Hirnforscher Jan Born von der Uni Lübeck direkt im Experiment simulieren: Er setzte Versuchschläfern Elektrodenkappen auf, die nicht nur Signale empfangen, sondern auch abgeben konnten. Mit diesen Kappen induzierte Born in den Gehirnen der Probanden die für den Tiefschlaf typischen Wellen, er rief also eine Art Supertiefschlaf hervor. Das Ergebnis: Am folgenden Tag konnten sich die Versuchspersonen an Gelerntes besser erinnern als Vergleichspersonen ohne Superschlaf. Womit auch die Antwort auf die Funktion des Tiefschlafs gegeben wäre: Er dient dem Gedächtnis.

Was dabei im Gehirn passieren könnte, haben die Forscher Giulio Tononi und Chiara Cirelli von der Universität Wisconsin in einem Modell beschrieben: Im Wachen bilden die Nervenzellen untereinander ständig neue Verbindungen und bestehende werden verstärkt. Mit anderen Kontakte einzugehen, scheint eine Grundeigenschaft von Nervenzellen im Gehirn zu sein, denn selbst nicht aktivierte Zellen knüpfen ständig neue Kontakte.

Die Verbindungen herzustellen und aufrechtzuerhalten ist aber ein Prozess, der viel Energie kostet und der, verständlicherweise, endlich ist. Denn in kürzester Zeit könnte das Gehirn vor lauter Quervernetzungen keinen klaren Gedanken mehr fassen. Also muss es sich vom überflüssigen Verbindungsballast wieder befreien. Und das geschieht im Tiefschlaf, so das Modell von Tononi und Cirelli, wenn die großen Erregungswellen das Gehirn erfassen. Das Grundrauschen der unzähligen neuen Verbindungen verschwindet, die starken und wichtigen Verbindungen treten deutlicher hervor.

Jan Born geht noch weiter, indem er zu erklären versucht, wie denn wichtige Verbindungen gestärkt werden. Bewusst wahrgenommene Eindrücke des Tages, so Borns Hypothese, werden in der Großhirnrinde verarbeitet und parallel auch in einer speziellen Hirnregion namens Hippocampus abgelegt. Nachts, wenn das Großhirn keine neuen Eindrücke mehr empfängt und weitergibt, wird der Hippocampus selbst aktiv und funkt die Erlebnisse des Tages wieder ans Großhirn zurück. Die selben Erregungsmuster, die tagsüber nur flüchtig angelegt wurden, werden so noch einmal aktiviert.

Nervenschaltkreise werden auf diese Weise immer und immer wieder angestoßen, bis sie stark und dauerhaft verbunden sind. Wenn wir dann beispielsweise einem Jahre zuvor bewusst wahrgenommenen Menschen erneut begegnen, werden die immer noch bestehenden Verknüpfungen und Querverbindungen reaktiviert. Wir erkennen dann nicht nur die Gesichtszüge wieder, sondern wir erinnern uns auch an die Situation, in der wir dem Menschen begegnet sind, und an das Gefühl, das wir ihm damals entgegengebracht haben. Den Traum vom Lernen im Schlaf ganz ohne Mühe hat die Natur also bereits längst verwirklicht – wir müssen nur genügend schlafen.

Peter Spork: „Das Schlafbuch. Warum wir schlafen und wie es uns am besten gelingt.“ Rowohlt, 320 S., 19,90 Euro

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