: Wenn das Radio aus dem Pod kommt
taz-Serie „Boom 2.0“ (Teil 4): Podcasts sind Radio und Fernsehen zum Selbermachen – und zum Selbermixen. Inzwischen haben die Rundfunkanstalten die Konkurrenz erkannt und stellen selbst eifrig Sendungen ins Netz. Nur als profitabler Geschäftszweig hat sich das Podcasting noch nicht etabliert
von FELIX LEE
Wie bitte? Sie gehören zu den rund 97 Prozent der Berliner, die morgens nicht mit weißen Stöpseln im Ohr das Haus verlassen? Sie sitzen nicht jeden Abend vor dem Rechner und zählen geduldig die verbleibenden Sekunden mit, bis die gewünschte Datei auf das kleine weiße – oder schwarze – Gerät mit dem angeknabberten Apfel geladen ist? Sind Sie auch dabei, eine der angeblich größten technologischen Errungenschaften der vergangenen Jahre zu verpassen, der das Kommunikationsverhalten einer ganzen Generation auf den Kopf stellen soll? Sie sind kein Podcatcher?
Es mag ein übertriebener Hype um die mit rund 250 Euro sündhaft teuren Geräte sein, die im Prinzip nichts anderes sind als eine kleine Festplatte mit Kopfhörer. Und doch: Ohne den iPod und seinen gewaltigen Speicherplatz wäre das „Web 2.0“ nicht, was es ist. Längst geht es nicht mehr um ein Gerät, das fünf Zentner Plattensammlung auf 150 Gramm physisches Gewicht komprimiert. Jetzt kann man seine Fotosammlung ebenso in der Jackentasche herumtragen wie die ZDF-Nachrichten vom Vorabend als Video-Podcast, Angela Merkels wöchentliche Ansprache zur Lage der Nation oder die Berliner Schnauze Toni Mahoni mit den neuesten Anekdoten von der Spree.
Was das Besondere am Podcasting ist: Während Radio- und Fernsehsender ihr Publikum nach einem festen Schema beschallen, kann der Zuhörer oder Zuschauer seine Sendung gezielt aus einem breiten Angebot auswählen: Radio und Fernsehen, mobil und auf Abruf.
Was kompliziert klingt, funktioniert eigentlich ganz einfach. Der Podcatcher schließt sein Gerät per USB-Kabel an einen internetfähigen Rechner und abonniert die gewünschten Podcasts. Die werden heruntergeladen und auf den iPod – oder einen anderen MP3-Player – übertragen. Immer wenn das Gerät neu angedockt wird, aktualisiert sich dieses Abonnement automatisch.
Die zweite Errungenschaft: Jeder kann sich selbst podcasten. Es gibt 14-jährige Computerfreaks, die mit einer Minikamera vor ihren Bildschirmen sitzen, mit bescheidenen technischen Mitteln ihre eigene Radio- oder Videoshow aufnehmen und diese ins Netz stellen. Noch nie war der Aufwand für ein Individuum so gering, so viele andere Menschen zu erreichen.
Selbstgewählter Mix statt Formatberieselung
„Die endlose Vielfalt bringt natürlich auch endlose Beliebigkeit mit sich“, sagt Tim Renner, Exchef von Universal Music Deutschland und Gründer des Berliner Musiksenders Motor FM. Doch längst gibt es auch professionell produzierte Sendungen. Vor allem die Manager der großen Rundfunk- und Fernsehanstalten hat die neue Unterhaltungselektronik das Fürchten gelehrt. Aktuelle Medienanalysen haben ergeben, dass sich auch in Berlin vor allem die jungen Hörer immer weniger vom Radio berieseln lassen und es vorziehen, ihr Musik- und Unterhaltungsprogramm selbst zusammenzustellen.
Für Tim Renner ist das Formatradio die Hauptursache für das sinkende Interesse am Hörfunk. Nachdem sich die Privatsender in den 90er-Jahren in ihrem Musikprogramm immer mehr aneinander angeglichen hatten, gebe es nun wieder ein zunehmendes Interesse an neuer Musik, sagt Renner. „Die allgemeine Tendenz geht weg vom Massen- zum Individualmedium“, bestätigt auch der Berliner Marketingexperte Wolfgang Hünnekens von der Berliner Agentur Publicis.
Die großen Radiostationen haben bereits auf das veränderte Hörverhalten des jungen Publikums reagiert. Ob Deutschlandfunk, Deutsche Welle oder die RBB-Sender RadioEins und Fritz, immer mehr Beiträge und Sendungen werden auch ins Netz gestellt. Und was die so beliebten Musiksender Viva und MTV mit ihren Videoclips einst auf dem Fernsehschirm abgedeckt hatten, hat sich über andere Anbieter ebenfalls auf die 20 Quadratzentimeter großen Bildschirme der portablen Player verlagert. Und das Angebot wird immer größer: Ab Februar will die Berliner „podcastFabrik“ die erste Hörspiel-Novela als Podcast ins Netz stellen. Täglich soll eine von insgesamt 60 Folgen mit einer Länge von je zehn Minuten online gehen.
Wie macht man Podcasts bloß zu Geld?
Neue Möglichkeiten gibt es auch für Blinde: Fast alle deutsch- und englischsprachigen Artikel im Online-Lexikon Wikipedia soll es demnächst ebenfalls als Sprachaufnahme zum Herunterladen geben (Pediaphon). Kein Wunder, dass längst auch Werbeagenturen und Internetdienstleister das Podcasting entdeckt haben. Sie probieren sich in unterschiedlichen Sendeformaten aus und grübeln vor allem über die Frage, wie mit diesem neuen Medium konkret Geld gescheffelt werden kann.
Denn diese Frage bleibt bislang unbeantwortet. Je individueller das neue Medium wird, desto schwieriger wird es für Werbekunden, ihre Produkte einer breiten Masse zu präsentieren. „Als Geschäft lohnen sich Podcasts noch nicht“, bestätigt Hünnekens. Es gebe zwar einige Werbeagenturen, die die Produktion von Podcasts als erweitertes Angebot anbieten. Damit werde aber noch kein Geld verdient. Tim Renner hält Podcasting gar für ein bloßes „Übergangsmedium in der Demokratisierung der Medien“. Dabei ist sein Sender schon eifrig dabei, aus Podcasts Profit zu schlagen. Motor FM nutzt Podcasts, um Musikstücke vorzustellen, die dann aus dem Internet gegen Gebühr heruntergeladen werden können. Die Technik hält Renner dennoch für „noch nicht ausgereift“. Solange Podcasts nicht überall und zu jeder Zeit sofort heruntergeladen werden könnten, sei das ein klarer Nachteil gegenüber dem Hörfunk, sagt Renner. „Podcast kann die Revolution auf dem Hörfunkmarkt einläuten, aber nicht alleine durchführen.“
Das große Zittern bei den Radiostationen ist nach Ansicht Hünnekens daher eine überzogene Reaktion. Der Podcast werde das Radio auch langfristig nicht verdrängen. Radio sei ein Zweitmedium, morgens zum Aufstehen oder beim Autofahren. „Das wird auch weiterhin seine Berechtigung haben.“ Ein viel gefährlicherer Konkurrent ist der iPod laut Hünnekens fürs Fernsehen. Dessen Produktionsaufwand sei viel größer – bei viel engeren Finanzmargen. „Wenn da nur wenige Prozent von der Werbeindustrie wegfallen, bedeutet das für viele Privatsender das Ende.“
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