: Sechsjähriger Junge ändert Gesetzgebung
Richtungswechsel in Norwegen: Regierung will embryonale Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik zulassen
Norwegen hat im Bereich der Stammzellenforschung eine Kehrtwende vollzogen. In der vergangenen Woche legte die rot-grüne Regierung den Entwurf eines neuen Gesetzes vor, das in Zukunft die Forschung mit embryonalen Stammzellen ermöglicht. Erst vor drei Jahren war in einem damals verabschiedeten Gesetz dies ausdrücklich verboten worden. Nur die Forschung mit adulten Stammzellen, zum Beispiel aus dem Knochenmark oder aus Nabelschnurblut, war seitdem erlaubt.
„Die Gesetzesänderung soll norwegischen Forschern ermöglichen, Methoden und Techniken entwickeln zu können, die wir heute noch aus dem Ausland importieren müssen“, begründete Gesundheitsministerin Sylvia Brustad den Schritt. Die Regierung hoffe, dass damit in Zukunft die Heilung von Krankheiten wie Parkinson oder Diabetes möglich werden könne. Die Forschung an embryonalen Stammzellen soll ausschließlich auf „überzählige“ befruchtete Eizellen beschränkt bleiben. Bislang mussten diese, falls sie bei künstlicher Befruchtung übrig blieben, vernichtet werden.
Die Regierung in Oslo geht allerdings noch einen Schritt weiter und will auch die Präimplantationsdiagnostik (PID) zulassen. Mit diesem Verfahren werden durch künstliche Befruchtung erzeugte Embryonen genetisch überprüft. Embryonen mit unerwünschten Erbanlagen können so vor der Übertragung auf eine Frau aussortiert werden.
Dass eine ausreichende parlamentarische Mehrheit für dieses in Deutschland nicht zugelassene Verfahren zustande gekommen ist, hat ganz wesentlich mit einem sechsjährigen Jungen zu tun. Dessen Schicksal hatte vor zwei Jahren aufgrund umfassender Medienberichterstattung eine breite norwegische Öffentlichkeit bewegt.
Mehmet war mit Thalassämie geboren worden. Die genetisch bedingte Erkrankung, bei der die roten Blutkörperchen in ihrer Funktion eingeschränkt sind, ist vor allem im Mittelmeerraum weit verbreitet. Selbst wenn diese Krankheit medikamentös behandelt wird, haben Thalassämie-Patienten eine geringere Lebenserwartung als die Durchschnittsbevölkerung. Eine Heilung ist bisher nur über eine Knochenmarktransplantation möglich.
Mehmets aus der Türkei stammenden Eltern, beide Träger dieser Erbkrankheit, wollten versuchen, mittels künstlicher Befruchtung und der PID ein Kind zu gebären, das nicht an dieser Krankheit leidet und das auch als Knochenmarkspender für den kranken Bruder in Frage kommt. Das war aber aufgrund des PID-Verbotes nicht möglich.
In Zukunft soll nun ein Ethikkomitee über entsprechende Einzelfälle entscheiden können. Dem gleichzeitig allerdings mit auf den Weg gegeben wird, weder zur Schaffung von Designer-Babys beitragen zu dürfen noch beispielsweise PID zur Vermeidung jeglicher Behinderungen zuzulassen.
Prinzipiell solle damit nur die Weitergabe von schweren Erbkrankheiten, für die es keine erfolgversprechende Behandlung gibt, verhindert werden. KritikerInnen warnen vor einer „Aussortierungsgesellschaft“: Wo wolle man im Einzelfall die Grenzlinie zwischen akzeptablen und nicht mehr akzeptablen Behinderungen und Erkrankungen ziehen? REINHARD WOLFF
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