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Ein Tässchen ewige Verdammnis

Der Rooibostee und seine von der Tee-Mafia gern verschleierte belgische Herkunft

Die Mafia hat allen eingeredet, das Zeug sei gesund, bloß weil es ekelerregend schmeckt

Einer muss es einmal sagen, aber die Wahrheit ist: Rooibostee wird aus alten, gerebelten Socken hergestellt. Wer dieses herbe Getränk je zu sich genommen hat, wird jetzt wahrscheinlich spontan sagen: Stimmt genau, das habe ich mir eigentlich schon immer gedacht. Aber eine ausgeklügelte Image-Kampagne der Rooibostee-Mafia hat schon längst Gehirn und Geschmacksknospen porentief reingewaschen und allen eingeredet, das Zeug sei gesund, bloß weil es ekelerregend schmeckt.

Wie viele Liter Rooibostee jeden Tag in der Hoffnung auf Gesundheit, Wohlstand und multiple Orgasmen geschluckt werden, weiß niemand. Dabei ist diese Flüssigkeit doch wohl eher eine Art trinkbares Fegefeuer, ein Tässchen ewige Verdammnis. In katholischen Reformgemeinden hat man nach der Beichte mittlerweile die Wahl: fünfzig Rosenkränze beten oder fünf Liter Rooibostee trinken.

Der durchschnittlich Halbgebildete unserer Breiten weiß natürlich, dass Rooibos das Wort in Afrikaans für Rotbusch ist. Ferner weiß er, dass der Rotbusch dünnblättrig ist, in Südafrika wächst, und dass aus diesen dünnen Blättern die dünne Plörre hergestellt wird. All diese Fakten über den Rooibostee sind allerdings frei erfunden. Die einzige Pflanze, mit der Rooibostee etwas zu tun hat, ist die Baumwolle, häufig anzutreffende Fasern sind auch Elasthen, Viskose, Polyacryl.

Die Rooibostee-Mafia hat sich vorwiegend in Belgien breitgemacht, und Rooibos ist dort ein umgangssprachlicher Ausdruck für einen guten Freund, der so viel bedeutet wie: alte Socke. Diese Mafia unterhält ein Heer von freien Mitarbeitern. Ein Teil von ihnen lungert in Waschsalons herum, gibt vor die Maschinen zu warten oder tarnt sich als waschender Kunde. In einem unbewachten Moment, wenn man das kleine Gefäß mit dem Weichspüler gerade aus dem Automaten holen muss, fischt der Sockenmafioso in aller Seelenruhe zwei oder drei getragene Socken aus dem Wäschebeutel. Der jahrhundertealte Mythos, wonach Socken beim Waschen verschwinden, wurde geschickt lanciert, um zu verschleiern, dass die Socken vorher bereits entfernt werden.

Hat sich der Sockendieb bewährt, wird er befördert und auf Umkleidekabinen von Sport-Teams angesetzt. Wer hat sich nicht schon einmal, wenn neben ihm ein unscheinbarer älterer Herr Sportkleidung anlegte, gefragt: „Komisch, den habe ich hier noch nie gesehen. Welche Position spielt der eigentlich?“ Und wer hat nicht kurz darauf eine oder zwei getragene Socken vermisst? „Wird der Willy wohl aus Versehen eingesteckt haben.“ Eben drum.

Im Jargon der Rooibostee-Mafia heißen Socken aus Umkleidekabinen übrigens „First Flush“. Und man muss die Leute nicht einmal zum Schweigen bringen. Niemand geht wegen einer verschwundenen Socke zur Polizei. Damit nicht genug. In den Sweatshops der Dritten Welt werden Kinder gezwungen, die von ihnen fabrizierten Turnschuhe anzuziehen und tagelang zu tragen. Danach müssen sie die drei Paar übereinandergezogenen Socken an ihre von den „Freunden der belgischen Oper“ bestochenen Vorarbeiter abliefern.

In Krankenhäusern, auf Zeltplätzen, in Arztpraxen, überall wo getragene Socken unbeaufsichtigt herumliegen, schlagen die Sockensammler der Rooibostee-Mafia zu. Das süddeutsche Volkslied „Zu Lauterbach“ (nachgewiesen vor 1820) thematisierte dieses Phänomen wie folgt: „Zu Lauterbach hab i mei Strumpf verlorn / Ohn’ Strumpf da geh i nöd hoam / Drum geh i erst wieder nach Lauterbach / Hol mir an Strumpf zu dem oan.“ Verloren hat der anonyme Verfasser dieser Zeilen seinen Strumpf selbstverständlich nicht. Er wurde zielsicher entwendet und landete in einer Teekanne, weit weg von Lauterbach.

Wohin gelangen die Millionen getragener Socken? Es gibt auf der Welt drei oder vier riesige unterirdische Rooibostee-Fabriken, eine vermutlich in Wuppertal. Dort werden die Socken gerebelt. An dieser Stelle ein Paar Worte zu dem Verb rebeln. Eigentlich existiert es nur als Partizip in Verbindung mit Majoran: „gerebelter Majoran“ steht auf dem geschmackfreien Krümelzeug, das schon manch einer im Supermarkt aus Verzweiflung gekauft hat, um der Kartoffelsuppe aus der Tüte Leben einzuhauchen. Rebeln heißt auf Belgisch nichts anderes als „alte Socken zerkleinern“, und der „gerebelte Majoran“ ist der Teil der Sockenfasern, die nicht zu Rooibostee verarbeitet werden, weil in ihnen keine Geschmackspartikel hängengeblieben sind. Es handelt sich um eine Art Sockentrester, aus dem ein Placebogewürz wird, das sich an Geschmacksgestörte als Majoran verticken lässt. Noch gestörter jedoch sind die Rooibosteetrinker. Wenn Sie demnächst ein gesundes Tässchen Rooibostee von einem guten Freund nicht ablehnen können, beschweren Sie sich nicht, wenn es nach dem ersten Schluck leicht faulig und ein bisschen staubig schmeckt, wenn der süffisante Abgang in der Kehle ein derbes „TWANG“ erzeugt, wenn sich danach Augenlider und Lippen unwillkürlich kräuseln und wenn Sie ächzend von den Socken sind. Sie wissen jetzt, warum. ROB ALEF

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