piwik no script img

Als die Damen wieherten

Sie waren die „Neuen Frauen“: Quirlig, selbstständig und mit feschem Image stürmten sie in den 10er- und 20er-Jahren das Stummfilmkino. Die diesjährige Berlinale widmet den „City Girls“ zwischen Emanzipation und Konsum ihre Retrospektive

Sie sucht nach einem exotischen Setting voller Romanzen, Morde und Mysterien, nach Helden! Am Ende biegt sie sich vor Lachen

VON MADELEINE BERNSTORFF

Ein Look: Der Bob-Kurzhaarschnitt, ein Topfhütchen namens Cloche, weich fließende Jerseykleidung, nur noch knapp überm Knie. Die „eingefrorene Leiblichkeit der viktorianischen Frau“ (Heide Schlüpmann), Sinnbild lahmgelegter Expressivität und Sexualität, wurde abgelöst von der nervösen Energie eines sehr quirligen, flattrigen Geschöpfs, dessen Leben so sein sollte wie Film. Es konnte auch mal eine Krawatte tragen.

Zu finden war es in Großstädten, Telefonämtern, Großraumbüros, in den Tanzcafés von New York, Paris, Berlin und Istanbul. 1912 schrieb Stanley Houghton sein Theaterstück „Hindle Wakes“, ein soziosexuelles Drama, das die Anarchistin Emma Goldman in höchsten Tönen lobte, weil sie darin einen neuen Mädchentyp entstehen sah. Die diesjährige Berlinale geht diesem neuen Typus nach. Unter dem Titel „City Girls“ wird der Komplex der Filme vom Anfang der 10er- bis Ende der 20er-Jahre gezeigt, die das Bild jener „Neuen Frau“ abstecken – jenes Konstrukts, das zugleich Look, Habitus, Image und damit auch die fetischisierende Verarbeitung eines sozialen Phänomens war.

Hintergrund der plakativ umschriebenen Erscheinung „Neue Frau“, die ihren Warenwert schon in sich trug, waren gesellschaftliche Modernisierungen und Kämpfe, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreichten. Das Frauenwahlrecht hatte darin zunächst nur eine untergeordnete Bedeutung gehabt, es war vor allem um Forderungen auf zivilrechtlichem Gebiet gegangen, um die Beseitigung der gesetzlich verankerten Unmündigkeit der Frauen. Um die Jahrhundertwende reagierte die neue Filmindustrie mit Filmen, in denen Pulks von Frauen aus den unterschiedlichsten Gründen durch die Straßen stürmen und einen einzelnen Mann verfolgen. Der wirkliche Skandal für die (männliche) Öffentlichkeit war das massive und organisierte Auftreten von Frauen im öffentlichen Raum. Mitte der Zehnerjahre zeigte eine Welle von expliziten Anti-Suffragetten-Filmen, was für schreckliche Auswirkungen die Emanzipation haben würde. Die Filme kommentierten dies mit erstaunlichen Bestrafungsfantasien. Gleichzeitig aber eroberten Frauen massenweise die Berufswelt , vor allem auch während des Ersten Weltkriegs, und wurden so als ökonomisch unabhängigere Konsumentinnen Ziel der Werbung und damit auch der Filmindustrie.

„Jubelnd nennt sie sich den Beinahebruder des Mannes … Sie liebt es, zu gehen, zu rudern, zu reiten, zu fahren, zu springen und zu rennen, nicht zierlich auf hohen Absätzen, mit in Seide gekleideter Eleganz, sondern so, wie der Mann geht, springt, rudert, reitet, fährt und rennt“, äußert sich eine Autorin etwas besorgt über die Maskulinisierung der Girls. Ab 1908 durften Frauen studieren, im November 1918 bekamen sie das Wahlrecht. Spuren dieser Kämpfe sind in Lubitschs Hosenrollenkomödie „Ich möchte kein Mann sein“ (1919) zu finden. Ossi Oswalda fegt durch den Film als massiver Backfisch, als Wildfang oder was es sonst noch für Bezeichnungen gab für Unzähmbarkeit in diesem pubertären Zwischenfeld. Ihr neuer Hauslehrer will sie disziplinieren, ihr die Lust auf Partys, Zigaretten, Alkohol und Flirts austreiben. Unwillig, sich der patriarchalen Doppelmoral zu beugen, besorgt sie sich einen Frackanzug und zieht als junger Mann um die Häuser. Und natürlich spielt der Film mit homosexuellen Konnotationen. Ein Rezensent des Filmkuriers zeigte sich indigniert über das „wiehernde Lachen“ der Damen im Publikum.

Noch ungezähmter und mit deutlich tragischeren Untertönen folgt Asta Nielsen ihrer Lust in ihrem ersten Film, „Afgrunden“ (1910). Den braven Vikarsohn, den sie in der Straßenbahn kennenlernt, verlässt sie zugunsten eines fahrenden Gesellen, eines Cowboys, der sie ausbeutet und mit dem sie einen „Apachentanz“ aufführt, der in seiner sexuellen Exaltiertheit nichts offenlässt: Mit kreisenden Hüften schlängelt sie sich um ihn herum, fesselt ihn, der es mit stolzer Hingabe geschehen lässt, und presst ihren Körper schmiegsam an ihn. Merklich gibt er sich hin, schließlich stürzt sie sich auf ihn und beißt ihn in den Hals.

So wie Asta Nielsen auch als Produzentin ihrer Filme ihre Leinwandpersona prägte, gab es viele andere Filmkünstlerinnen, die versuchten, ökonomisch und inhaltlich ihre Filmarbeit selbst zu bestimmen. Die Schauspielerin Nell Shipman drehte, schnitt und produzierte die Filme, in denen sie spielte, Gloria Swanson versuchte sich relativ glücklos als Produzentin. Francesca Bertini, Star des neapolitanischen Kinos, hatte ihre eigene Produktionsgesellschaft und führte bei „Assunta Spina“ (1914) Regie, Germaine Dulac arbeitete an einem Avantgardekino. Und die Romanvorlage für den schwedischen Film „Club der Junggesellinnen“ schrieb die Autorin Elin Wägner, die sich explizit für das Frauenwahlrecht eingesetzt hatte.

In Clarence Badgers „It“ (1927), dem Film, durch den Clara Bow berühmt wurde, tritt die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Madame Elinor Glyn gleich mehrmals auf: zum einen als Autorin und zum anderen als Expertin für Sex-Appeal, für das gewisse Etwas, das „It“, einen seltsamen „Magnetismus, der beide Geschlechter anzieht. Es muss physische Anziehung da sein, aber es geht nicht um „Schönheit“. Die eindrucksvollste Autorinnenhommage ist in Nell Shipmans Autofotodrama „Something New“ (1920) zu finden. In der Rahmenhandlung sitzt die Regisseurin, die zugleich die Hauptrolle spielt, im Freien unter einem Baum an der Schreibmaschine und wartet auf Inspiration, auf etwas Neues. Sie sucht nach einem exotischen Setting, jenseits der Grenze, im Land der Romanzen, Morde und Mysterien, nach einem Helden, nach Atmosphäre! Aber hat sie als Schreibende wirklich alles unter Kontrolle? Sie schreibt sich selbst so wild in die aufregende Verfolgungsjagd hinein, dass ihr beinahe die Schreibmaschine vom Tisch fällt. Am Ende der Verfolgungsjagd sitzt sie wieder am Schreibtisch, biegt sich vor Lachen und blickt direkt in die Kamera.

Der englische Regisseur Elvey verfilmte „Hindle Wakes“ zweimal, die Version von 1927 ist nun in der Retrospektive der Berlinale zu sehen. Schauplatz sind die Baumwollfabriken von Lancashire während der jährlichen Ferienwoche. „Nur einmal im Jahr ruhen die Spinnereien von Lancashire, und die Sklaven der Baumwolle erfahren die Ekstase der Freiheit“, so der Zwischentitel. Die junge, unverheiratete Arbeiterin Fanny hat eine Affäre mit dem Sohn des Fabrikanten. In der Vergnügungsstadt Blackpool verbringen sie eine rauschende Nacht. Das Geheimnis fliegt auf, die Familien beschließen, dass die beiden nun heiraten müssten. Eigentlich klingt das wie der vorhersehbare Plot der Cinderella-Geschichten, die immer auch Ausdruck mangelnder Karrierechancen sind. Aber Fanny macht nicht mit: „Ich habe überhaupt nicht vor, Allan zu heiraten, warum sollte ich?“ Und an ihn gewandt: „Ich bin eine Frau und war deine kleine Laune, du bist ein Mann und warst meine kleine Laune“ – ein Plädoyer für gleiches Recht auf Sexualität. Schließlich verlässt sie ihre Familie.

Sie schleppt ihr Gepäck auf die Kamera zu, stark beleuchtet, und lässt Familie und Nachbarn im Dunkeln zurück. Der Film lebt von den kleinen Gesten, die viel erzählen über Doppelmoral und Klassengeschichte. Er versöhnt die Widersprüche nicht. Entstanden ist er zur Zeit des Generalstreiks, eines der größten Sozialkonflikte in der neueren englischen Geschichte. Eindrucksvoll sind die Aufnahmen im „Arbeiter-Freizeitparadies“ Blackpool. Die Kamera fährt auf Rutsch- und Achterbahnen mit, feiert das Spektakel der nächtlichen Illuminationen. Analoger Schauplatz in amerikanischen Filmen ist der Vergnügungspark Coney Island, durch den auch Clara Bow in „It“ zappelt oder auch in dem melancholischen Angestelltenfilm „Lonesome“ (1928). Die Vergnügungsmaschinen erlauben purzelnden Körperkontakt, Kreischen und Sichanschmiegen – und dazu gibt es auch noch so effektive Geräte wie den social mixer, eine Drehscheibe, auf der Clara Bow ihrem Juniorchef näherkommt. Die Ökonomie ist auf unterschiedlichen Ebenen am Werk.

In „Nickelhopper“ (1926) arbeitet Mabel Normand als Eintänzerin. Mabel kippt mit ihrer Aufmerksamkeit und ihren Bewegungen dauernd aus den Paarkonstellationen heraus. Es gibt kein Funktionieren, nur routiniert-genervtes Reagieren. Das Tanzvergnügen ist für sie eine mühevolle, groteske Arbeit, die aus nicht zueinander passenden Körpern und Bewegungen besteht. Immerhin stellten Mitte der Zwanzigerjahre die Frauen mehr als 70 Prozent des amerikanischen Kinopublikums. Im Katalog zu „City Girls“ beschreibt Rainer Rother die Herkunft der „Neuen Frau“ aus der Propaganda des Ersten Weltkriegs – „dass dieses wie ein Modell propagierte Frauenbild eine immer stärker in die Wirklichkeit eintretende Möglichkeit darstellte“. Die Filmwissenschaftlerin Miriam Hansen hatte 1989 eine alternative Filmgeschichte eingefordert, die die Spuren weiblicher Subjektivität ernster nimmt – und damit auch die Zuschauerinnenposition. So ist die „Neue Frau“ einerseits eine Kippfigur, gleichzeitig aber auch ein Befreiungsversprechen: Sie war ein pointiertes Idealbild, eine Werbestrategie, an die Konsumentinnen adressiert – die sich dann in den Dreißigerjahren auch wieder zurückschreiben ließ.

Die Retrospektive „City Girls. Frauenbilder im Stummfilm“ beginnt heute mit Clarence Badgers Film „It“ (20 Uhr). Zur Reihe erscheint ein Buch von Gabriele Jatho und Rainer Rother, Bertz & Fischer Verlag, 175 Seiten, 22,90 €. Im selben Verlag gibt es zum Thema ein „Filmheft“, 96 Seiten, 9 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen