„Nichts verpassen“

Deutschlandradio Kultur hat seit Anfang des Jahres einen neuen Chefredakteur: Peter Lange will den Sender zu einer eigenen Marke machen – und verstärkt digitale Verbreitungswege nutzen

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Lange, wie geht’s nach sechs Wochen im neuen Job?

Peter Lange: Sehr gut, danke der Nachfrage. Ich mache allerdings die Erfahrung eines nahe liegenden Missverständnisses: Viele Leute glauben, der Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur ist der Kulturchef von Deutschlandradio.

Und, fühlen Sie sich manchmal so?

Nein, ich sehe mich schon als Leiter der Hauptabteilung Politik, und ich gehe davon aus, dass die Hörerinnen und Hörer dieses Programms höchst politikinteressiert sind – um präzise zu sein: eher an policy denn politics. Wir nehmen uns die Zeit, die Dinge vielleicht nicht immer tagesaktuell, aber von anderer Seite zu beleuchten und die großen Grundlinien hörbar zu machen.

Wie grenzen Sie sich dabei vom Kölner Schwesterprogramm ab? Was sind Ihre Ziele?

Das Kernziel auf lange Sicht ist, Deutschlandradio Kultur zu einer Marke zu machen, wie es der Deutschlandfunk schon ist. Die Voraussetzung dafür haben wir mit der Programmreform geschaffen. Wir werden jetzt autonomer als Programm wahrgenommen.

Das zielt auch eher wieder auf die Grundlinie. Was aber planen Sie konkret?

Aus meiner Sicht geht es jetzt nicht darum, zu sagen: Hier kommt der Neue, der macht jetzt die nächste Reform. Mit dem, was jetzt da ist, haben wir eine sehr solide Basis, um weiterzumachen.

Ihr neuer Job ist also keinesfalls ein Schleudersitz, auch wenn diese Vorstellung in Bezug auf DLF und DLR Kultur ohnehin schwer fällt …

Nein, Schleudersitze haben wir hier nicht.

Drei Kernpunkte – wofür steht DLR Kultur?

Erstens: Es bleibt weiterhin ein Vollprogramm. Also nicht ausschließlich Kultur, sondern dazu Politik und Zeitgeschehen, Wirtschaft, Sport. Zweitens: Natürlich Konzentration auf die Kultur, aber mit einem sehr weiten Kulturbegriff: von politischer Kultur bis Kulturpolitik, oder „Von Mozart bis Madonna“, wie es in unser Werbung heißt. Drittens: Eine gute Verbindung zwischen all diesen Bereichen. Unseren Übergang vom eher politischen Zeitfunk am Morgen zum Radiofeuilleton finde ich schon sehr gelungen, das passt nach meinem Eindruck gut zusammen. Natürlich gibt es gewisse Reibungsflächen – das Radiofeuilleton geht an politische Themen ran, die Politik greift Kulturthemen auf.

Als Ihr Intendant Ernst Elitz jüngst beim Medienpreis „Goldener Prometheus“ als Radiojournalist des Jahres geehrt wurde, lästerten manche, dass seien die letzten Zuckungen des guten alten Dampfradios …

Ach Sie meinen, das war so eine Art Todeskuss? Dann müssten Sie sich als Print-Journalist ja auch vor dem „Goldenen Prometheus“ fürchten! Aber im Ernst: Wir sind mit der Programmreform ein großes Risiko eingegangen, das ist klar. Normalerweise ist es die Regel, dass man nach so einem Programmumbau zunächst in ein riesiges Loch fällt, Hörer verliert. Doch wir haben nicht mal Stagnation, sondern sogar deutliche Zunahme. Auf niedrigem Niveau, zugegeben. Aber dafür um 20 Prozent, von 277.000 auf 336.000 Hörer täglich. Das hat für viele Kolleginnen und Kollegen schon etwas von einer Trendwende gehabt.

DLR Kultur hat sogar den Wortanteil weiter erhöht – das galt lange Zeit als direkter Weg ins Abseits!

DLF und D-Kultur waren hier ja Vorreiter einer Entwicklung, die jetzt von den ersten Sendern nachvollzogen wird. Selbst viele Jugendprogramme, die Hörer verloren haben, denken wieder über mehr Wortstrecken nach.

Sie gehen auch im Internet neue Wege – ist das Web für Sie eine gleichberechtigte Säule neben dem klassischen Radioprogramm?

Gleichberechtigt nicht in dem Sinne, dass dies noch etwas Zusätzliches ist. Es geht in erster Linie um die Dokumentation dessen, was wir im Radio machen. Aber wir wollen alle Verbreitungswege – also auch das Internet oder das Digitalradio – nutzen. Da werden wir nichts verpassen.

Mit dem Blogspiel etwa, bei dem HörerInnen per Podcast kleine Beiträge online stellen, von denen DLR Kultur einmal pro Woche auch eine Auswahl sendet, gibt es nun auch im Radio „User Generated Content“. Ist das ausbaufähig?

Da gibt es Dinge, die sehr interessant sind. Die Frage ist nun, ob sich auf Dauer ein Niveau stabilisiert. Aber Blogspiel ist Kunst im weitesten Sinne. Und weit entfernt von dem, was Leserreporter bei einer Zeitung machen.

Im Radio ist die Zeit der Hörer-Reporter also noch nicht gekommen?

Ich denke hier eher konventionell: Die Welt wird immer komplizierter, da braucht es Leute, die Schneisen schlagen, die Orientierung schaffen, was voraussetzt, dass man sich auf die auch verlassen kann, Stichwort Glaubwürdigkeit. Und das ist das Kerngeschäft von Journalisten, das kann kein Leser- oder Hörerreporter.

Warum braucht man eigentlich ein nationales Kulturradio? Alle ARD-Landessender leisten sich schließlich ein eigenes Kulturprogramm.

In der regionalen und lokalen Berichterstattung können die Landessender viel tiefer gehen. Aber was wir klar besser können – und das gilt genauso für den DLF – ist eine synoptische Berichterstattung. Nehmen Sie den Fall Opel – wenn es da dem Werk Bochum an den Kragen geht, können wir in der gleichen Sendung nachfragen: Was machen Rüsselsheim und Eisenach? Das sind unsere Stärken, und da macht uns so schnell keiner was vor.