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Im Senat gestolpert

aus ROM MICHAEL BRAUN

Rechts wie links waren sich am Mittwoch in Rom alle völlig sicher gewesen: Die außenpolitische Debatte im Senat würde keine großen Überraschungen bringen. Regierungschef Romano Prodi hatte es nicht für nötig befunden, der Debatte beizuwohnen; lieber präsentierte er auf einer Pressekonferenz das neue Logo, mit dem Italien in Zukunft weltweit Tourismuswerbung machen will.

Auch Silvio Berlusconi ahnte offenbar gar nichts. Er saß entspannt beim Mittagessen statt auf der Besuchertribüne des Senats, während dort das Drama seinen Lauf nahm. „Stimm ab, du Arschloch, du Bastard“, brüllte ein Pulk kommunistischer Senatoren ihren Fraktionskollegen Fernando Rossi an, der reglos vor seinem Pult stand, statt endlich das Ja-Knöpfchen zu drücken. Er und ein zweiter kommunistischer Senator mochten Prodis Festhalten am Engagement in Afghanistan einfach nicht zustimmen.

Und obwohl es den Fraktionsspitzen der zwei kommunistischen Parteien und der Grünen in letzter Minute noch gelungen war, weitere fünf Dissidenten wieder auf Linie zu bringen, war damit das Desaster perfekt. „318 abgegebene Stimmen, notwendige Mehrheit 160 Stimmen, Jastimmen: 158. Der Senat billigt den Antrag nicht“, teilte Senatspräsident Franco Marini mit, und noch am Mittwochabend begab sich Prodi zu Staatspräsident Giorgio Napolitano, um nach nur neun Monaten Amtszeit seinen Rücktritt einzureichen.

Eine Alternative dazu hatte Prodi nicht, denn die Abstimmung vom Mittwoch hatte nur eine Situation bloßgelegt, die von Anfang an die Mitte-links-Koalition belastete: Sie hat im Senat, dem Oberhaus des Parlaments, faktisch keine Mehrheit. Selbst wenn die beiden Abweichler mitgestimmt hätten, wäre Prodi gescheitert – bei 320 abgegebenen Stimmen hätte er 161 Ja-Voten benötigt. Sicher kann die Mitte-links-Koalition aber nur auf 157 Senatoren bauen, während die Rechte 156 Sitze hält. Da der Senatspräsident traditionell nicht mitstimmt, heißt das: Patt. Nur die zwei unabhängigen Senatoren und die sieben Senatoren auf Lebenszeit konnten Prodi bisher die Mehrheit sichern.

Jetzt aber versagten gleich mehrere Senatoren auf Lebenszeit der Regierung die Gefolgschaft. Giulio Andreotti, umstrittener Altstar der italienischen Politik, hatte listig noch sein Ja angekündigt, sich dann aber im letzten Moment enthalten – das zählt laut Geschäftsordnung des Senats wie eine Nein-Stimme. Mit Nein votierte auch Exstaatspräsident Francesco Cossiga; der Industrielle Sergio Pininfarina enthielt sich.

Nun spekulieren Italiens Medien, ob der fromme Christdemokrat Andreotti gleichsam im Auftrag Ratzingers gehandelt habe, schließlich bekämpft der Vatikan in diesen Tagen heftig die Regierungspläne zur Schaffung eingetragener Lebensgemeinschaften für Schwule und Lesben. Und hinter dem Nein des überzeugten Atlantikers Cossiga vermuten viele Beobachter die Rache der USA: Die Mitte-links-Regierung hat nicht bloß den Abzug von italienischen Truppen aus dem Irak vollzogen und eine Verstärkung des Engagements in Afghanistan verweigert; Italiens Justiz schickt sich in diesen Monaten auch an, jenem US-Soldaten den Prozess zu machen, der bei der Befreiung der Journalistin Giuliana Sgrena einen italienischen Geheimdienstagenten erschossen hatte, und zugleich soll in Mailand ein Prozess gegen 26 CIA-Agenten beginnen, die den Islamisten Abu Omar aus Italien entführt hatten.

Das war wohl zu viel Last auf den schmalen Schultern der Mitte-links-Koalition. Jetzt will Prodi noch mal ran, aber nur unter der Bedingung, dass seine Allianz die Reihen schließt – und dass sie wenigstens ein paar Senatoren aus dem gegnerischen Lager anwerben kann. Seit gestern sondiert Staatspräsident Napolitano mit den Spitzenvertretern aller im Parlament vertretenen Parteien einen Ausweg aus der Krise.

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