Die Bremer Affenliebe

Erst wurden Andreas Kreiners Makaken-Experimente von der Universität Bremen gehätschelt, jetzt will die Politik sie einstellen: Seit der Tierschutz im Grundgesetz verankert ist, werden Versuche mit Primaten kaum noch genehmigt

Statistisch erfasst werden Versuchstiere im Tierschutzbericht der Bundesregierung, den das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft alle zwei Jahre vorlegt. Fürs Jahr 2005 verzeichnet er 2.412.678 für Versuche verwendete Tiere. Davon stellen Nager mit 85,4 Prozent die größte Gruppe dar. 2.105 Affen waren in dem Zeitraum in Versuchen – 72,1 Prozent von ihnen in toxikologischen Tests. Die Gesamtzahl ist steigend, vor allem in Folge der EU-Chemie-Richtlinie REACH. Als ethisches Problem werden Tierversuche seit Mitte des 19. Jahrhunderts intensiv diskutiert. Dabei hat sich der von Jeremy Bentham im 18. Jahrhundert vorformulierte „Pathozentrismus“, also ein Ansatz, der die Leidensfähigkeit zum Ausgangspunkt des Schutzanspruchs macht, als logisch zweifellos stärkstes Argument erwiesen. An ihn knüpfen neuere Bioethiker wie Ursula Wolf – „Das Tier in der Moral“ (1990) – oder der Schweizer Jean-Claude Wolf – „Tierethik“ (2005) – an. Dessen Quasi-Syllogismus zur moralischen Unzulässigkeit von Tierversuchen – „selbst wenn Tiere klare Anzeichen der Zustimmung zur Teilnahme an aggressiven Experimenten geben könnten, gäbe es für jeden moralisch akzeptablen Tierversuch ein moralisch akzeptables und überdies über therapeutische Zwecke aussagekräftigeres freiwilliges Humanexperiment“ – ist als rigorose Handlungsempfehlung nicht realistisch: Sie müsste zum sofortigen Verbot von Schweinemast und Milcherzeugung führen.  bes

von BENNO SCHIRRMEISTER

Da wäre zum Beispiel das Schnitzel-Argument. Ein Schnitzel zu essen, sagt Andreas Kreiter, sei schwieriger zu legitimieren, als seine Versuche. Kein Mensch braucht Schnitzel, oder Braten, oder Wurst. Oft ist deren Verzehr sogar ernährungsphysiologisch bedenklich. Nur hat die Bremische Bürgerschaft nicht den Verkauf von Tierfleisch untersagt. Sondern „die Zielsetzung eines geordneten Ausstiegs aus den invasiven Tierversuchen an Makaken“ bekräftigt. Und zwar „mit Ablauf der Genehmigungsperiode im Jahr 2008“.

Zugleich hat sie den Senat gebeten, auf Grundlage des Berichts einer Expertenkommission zu erläutern, „wie der Ausstieg erfolgen kann“. Das war am 22. März 2007, der Beschluss fiel einstimmig, eine politische Willensbekundung, schließlich ist laut Tierschutzgesetz die Gesundheitsbehörde zuständig. Der angeforderte Bericht liegt jetzt vor. Seit zehn Tagen brütet man in der Wissenschaftsbehörde darüber. Öffentlich ist er noch nicht. Vielleicht, weil auf Basis des Gutachtens die Senatorin ehrlicherweise nur ans Rednerpult treten kann und sagen: Ist nicht. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es kein Ersatzverfahren für die invasiven Makaken-Versuche gibt. Und: Professor Kreiters Forschung kommt laut Expertise grundlegende Bedeutung zu. Unangenehm. Schließlich steht im neuen Koalitionsvertrag: „Der Bürgerschaftsbeschluss zur Beendigung der Primatenversuche wird umgesetzt.“ Und das Gutachten sollte beim Ausstieg helfen.

Organisch geformte Hütchen

Ein großes Metalltor mit Sicherheitscodierung: Der Eingang zu den Labors wird videoüberwacht. Die Affen leben in Gruppen, reine Männergruppen, das kommt in der Natur häufig vor – und ist günstig, weil blutige Kämpfe ausbleiben. Die Gehege sind mit Holzspänen ausgestreut. Einige Tiere sitzen am Boden und pulen Sonnenblumenkerne aus den Häckseln: In den asiatischen Steppen ernten sie Grassamen und Beeren. Andere testen den Kletterparcours, hangeln am Gitter, einer hat sich nach draußen verabschiedet, obwohl es recht kühl ist und dunkel. Ein Affe ist neu, ihm fehlt der Aufbau auf dem Kopf noch. Die anderen haben ihn alle: Ein Bolzen, er erinnert an einen Handgriff, und eine metallische Buchse ragen aus roséfarbenen, organisch geformten Hütchen. Die sind aus Zement. Zement wird in der Humanmedizin eingesetzt, weil er sich optimal der Knochen-Struktur anpasst. Er dient zum Fixieren von Implantaten. Manche Besucher haben vermutet, der gesamte Makakenschädel sei geleert und dann von Kreiter und seinem Team einzementiert worden. Andere haben die Aufbauten für herausquellendes Hirn gehalten. Schließlich hatte sich die öffentliche Meinung schon 1996 dafür entschieden, den Zoologen für einen Affenfolterer zu halten – ein Jahr bevor der erste Makake in Bremen operiert wurde.

Versace schlägt auf den Knopf

Im 19. Jahrhundert hat man begonnen, das Hirn zu kartografieren. Als gesichert gilt: Sein Aufbau ist bei Wirbeltieren immer fünfteilig, von Vorderhirn bis Nachhirn. Dass dort etwas passiert, liegt an den Neuronen, also Nervenzellen, die Erregung weiterleiten. „Die Zellen“, sagt Kreiter, „sind relativ gut verstanden.“ Was fehle sei „eine zentrale Leittheorie, die erklärt, wie aus ihrem Zusammenwirken Wahrnehmungen, Aufmerksamkeit oder Erinnerungen entstehen“. Man fühlt sich auf gutem Weg dorthin.

Der Affe heißt Versace. Er hockt in einem kleinen Behältnis aus Plexiglas. In der Hand hat er einen Schaltkasten, der einer Fernbedienung ähnelt. Versace ist neu hier. Er trainiert. Eben hat er den Experimentator im Nebenraum dazu gebracht, die Apfelsaftdosis zu erhöhen. Versace hat die Schaltbox rumgeschlenkert und wild auf den Knopf geschlagen. Sein Kopf ist fixiert, dafür ist der Bolzen da, der Metallzylinder dient zur Verdrahtung der Elektroden: Dünn wie ein Haar sind ihre Spitzen im Hirn versenkt. Das ist schmerzunempfindlich. Jetzt macht Versace die Übung wieder mit. Er schaut auf den Bildschirm, nebeneinander erscheinen zwei Objekte, klack, Versace drückt den Knopf, es war der richtige Moment, er bekommt einen Schluck Saft. Klack, das Arbeitstempo nimmt zu, klack. Versace konzentriert sich. Die Trainingsphase dauert ein Jahr: Es muss klar sein, dass die Affen das entscheidende Objekt erkennen. An Dressurtagen bekommen sie nur während des Trainings zu trinken. Makaken stammen aus trockenen Regionen: Sie können bis zu zwei Wochen ohne Wasser leben.

Das Ziel: Erkenntnis

Der Bereich, an dem Kreiters Arbeitsgruppe die Stimulation von Neuronen beobachtet, ist das Großhirn, hauptsächlich jene sensorischen Felder, die als V 4 bezeichnet werden. Damit ein bestimmtes Objekt erkannt wird, muss das Gehirn die Sinneseindrücke sortieren – sie kommen alle in derselben Form, als elektrische Impulse an. Was Kreiter entdeckt hat, lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Reagieren V 4-Zellen auf ein Objekt auf dem Bildschirm, während der Makake sich für etwas anderes interessiert, feuern sie ohne erkennbare Regel. Anders, wenn das Tier versucht, das Objekt zu erkennen: Dann feuern die beteiligten Neuronen in synchronen oszillatorischen Mustern. „Das sind stabile Muster“, so der Hirnforscher, „aber keine stabilen Netzwerke.“ Wenn das Interesse dem linken Gegenstand gilt, funken andere Neuronengruppen im Gleichtakt, als beim rechten. „Es ist eine Teiltheorie“, sagt Kreiter. Den Gesamtzusammenhang offenbaren kann sie nicht. Allerdings gelten die Synchronisationstheorien als bislang größter Schritt dorthin.

Grundlagenforschung nennt man das. Ihr Ziel ist: Erkenntnis. Man kann sich vorstellen, in welcher Richtung ihre Anwendungen liegen. Abschätzen lässt sich, dass sie zahlreich sein werden. Schon 2004 haben Schizophrenie-Forscher festgestellt, dass bei PatientInnen die von Kreiter beobachteten oszillatorischen Muster der Neuronen-Impulse verändert sind. Die wegen des demografischen Wandels boomende Alzheimer-Therapie vermutet wertvolle Hinweise in den Bremer Erkenntnissen. Prothesen, die Blinden ein wenigstens rudimentäres Sehvermögen schenken, werden denkbar. Lauter keimende Hoffnungen. Die Uni hat sie gern befeuert. In der Debatte fielen sie dann schnell auf Kreiters Forschungen zurück – polemisch gewendet: „Das ging ja bis zur Katastrophenprophylaxe, was damit alles möglich sein sollte“, wetterte Grünenpolitikerin Silvia Schön im Mai 2005 in der Bürgerschaft. Im Februar 2007, kurz vor der Wahl, erklärte CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp Kreiters Ergebnisse für zu dünn, und eine Fortsetzung der Versuche für lässlich. Schließlich war Schizophrenie noch nicht heilbar geworden.

Das Bremer Wachsmodell

Der Wunsch nach unbedenklichen Ersatzverfahren ist in den Naturwissenschaften nicht neu. 1771 zum Beispiel überzeugte der Florentiner Felice Fontana Kaiser Leopold II., dass seine Wachsmodelle von Körper und Organen die anrüchige Untersuchung von Leichen überflüssig machen könnten. Der Kaiser gab ihm einen Auftrag. Noch heute kann die Kollektion von 800 Wachsplastiken bewundert werden. Hilfreich waren sie nicht.

Auch Bremen hat so sein Wachsmodell. Es heißt 3-Tesla-Kernspintomograph und hat in Bremen eine geradezu messianische Rolle erhalten. „Das Drei-Tesla-Gerät“, so die tierschutzpolitische Sprecherin der SPD, Carmen Emigholz am 22. März in der Bürgerschaft, „ist nicht erst gestern angeschafft worden.“ Damit könne Kreiter ja weiter arbeiten, „und laut Meinung aller Fraktionen haben sich damit die invasiven Versuche erübrigt“. Tatsächlich zeichnet ein Kernspintomograph Gehirn-Aktivitäten auf: Die Messgenauigkeit liegt bei fünf Kubikmillimetern. Die elektrophysiologische Messung dagegen erfasst die Signale eines Neurons. Der Zellkörper hat ein durchschnittliches Volumen von 0,000014 Kubikmillimetern. Der Sinn des Kernspintomographen ist es, einen Überblick darüber zu gewinnen, an welchen Stellen im Hirn sich gleichzeitig etwas tut. Dadurch wird die Suche nach interessanten Nervenzellen verkürzt. Für andere Ergebnisse ist das Gerät so gut geeignet, wie eine Europakarte zur Orientierung in der Bremer City.

Seit zehn Jahren laufen Kreiters Versuche. Die Genehmigung nicht zu erneuern – damit würde Bremen juristisches Neuland betreten. Die Diskussion darum erregt Aufsehen: Man betrachte „mit Sorge den Versuch der Bremischen Bürgerschaft, die Forschung einzuschränken“, ließ die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft (DFG) wissen. Und feinsinnig gab der wichtigste Geldgeber für akademische Projekte seiner „Hoffnung“ Ausdruck, dass sich „der Wissenschaftsstandort Bremen“ dennoch „weiterhin als zuverlässiger Partner in der Forschung erweist“.

Forscher klagen nicht

Früher war die Ablehnung eines Antrags kaum möglich: Die Behörde durfte nur prüfen, ob „Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit wissenschaftlich plausibel dargelegt“ waren. Andernfalls hätte sie die Freiheit von Forschung und Lehre verletzt – ein Grundrecht, das nicht von allgemeinen Gesetzen beschränkt wird. Doch seit 2002 ist Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Das erst hat die beiden Rechtsgüter konkurrenzfähig gemacht. „Neue Primatenversuche“, sagt eine Sprecherin des zuständigen Bundesministeriums für Landwirtschaft, „werden kaum noch genehmigt.“ Man erwartet Auswirkungen auf die Rechtsprechung. Aber wie die Gerichte entscheiden würden, weiß niemand. Die Wissenschaftler klagen nicht. So hat die Berliner Gesundheitsbehörde kürzlich einen Antrag von Kognitionsforscher Andreas Thiele abgelehnt. Das Experimentdesign: Vergleichbar mit dem Kreiters. Als Versuchstiere vorgesehen: Rhesusaffen. Letztlich attestierte ihm die Behörde, dass Schmerzempfinden und akute Angstzustände der Tiere nicht besonders hoch seien – aber „Versuche mit Primaten in der ethischen Abwägung nicht wie andere Tierversuche nach Belastungskriterien zu bewerten“ seien. „Der ablehnende Bescheid erfolgte im Januar“, heißt es aus Berlin. Von der Möglichkeit des Widerspruchs sei „kein Gebrauch gemacht“ worden. So wichtig war Thiele die Rückkehr nach Deutschland nicht: Er hat Professur und Labor in Newcastle.

Ist es historischer Zufall oder logische Verknüpfung? Je stärker der Tierschutzgedanke auftritt, desto intensiver wird über Versuche an Menschen und Euthanasie nachgedacht: 2005 hat der nationale Ethikrat für nötig befunden, zu klären, ob „Medizinische Forschung an einwilligungsunfähigen Menschen“ nun „Heilversuch oder Humanexperiment“ heißen soll. Vom Leiden ausgehend argumentiert der Schweizer Philosoph Jean-Claude Wolf in seiner „Tierethik“ (2005): Jedem vertretbaren Tierversuch stehe „ein moralisch akzeptables und aussagekräftigeres freiwilliges Humanexperiment“ gegenüber. Erstmals in Deutschland verboten wurden Tierversuche durch Hermann Göring, im August 1933. Schließlich war der Führer „schärfster Gegner der Vivisektion, der wissenschaftlichen Tierfolter“, informierte damals der Tierfreund.

Fritz ist nur noch auf Wasser. Der Affe hat das gesegnete Alter von 13 Jahren erreicht: Er ist schon 1997 im Labor angekommen. Er hat Speck angesetzt. Deshalb haben die Kreiter-Leute ihm den Apfelsaft gestrichen. Seine Aufgabe ist schwer: Er muss in einer Art Elektro-Wimmelbild aus Strichmustern kurz auftauchende S- und U-Kurven erkennen. Die Figuren erscheinen mal links oben, mal rechts unten. Klack, Fritz drückt den Knopf, das wirkt routiniert, klack, er trinkt einen Schluck. Erfüllt ihn die Arbeit? Wir wissen es nicht. Fest steht nur: Sollte Kreiters Genehmigung im Herbst 2008 nicht verlängert werden, freut das die Tierschützer. Und die Affen, Fritz und Versace und die anderen – die würden eingeschläfert.