: „Staat rein, Bürger raus“
Nach dem Chaos der Christiansen-Nachfolge (1): Müssen die ARD-Rundfunkräte entmachtet werden? Medienwissenschaftler Hans Kleinsteuber über fehlende Transparenz im deutschen Rundfunksystem
Interview René Martens
taz: Herr Kleinsteuber, über Rundfunkräte wurde nach dem geplatzten Vertrag der ARD mit Günther Jauch viel geredet – Stichwort „Gremien voller Gremlins“. In vielen Artikeln dazu kam mehr oder weniger deutlich die Haltung zum Ausdruck, es sei das Beste, wenn die Intendanten allein darüber entschieden, was die ARD tun soll. Wie beurteilen Sie die Berichterstattung?
Hans J. Kleinsteuber: Hinter dem System der Rundfunkräte steckt ja die Idee einer öffentlichen, aber staatsfernen Organisation der gesellschaftlich zentralen Medien Radio und Fernsehen. Machtballung sollte durch Gewaltenteilung vermieden werden: Alleingänge eines Intendanten wie selbstherrliche Aktionen eines Rundfunkrats müssen sich wechselseitig ausschließen. Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass die Intendanten übermächtig sind gegenüber ihren Aufsichtsorganen. Aber natürlich brauchen Intendanten im Tagesgeschäft ihre Entscheidungsfreiheit.
Das Rundfunkratsystem ist im Prinzip also gut, funktioniert aber heute anders als ursprünglich vorgesehen?
Ja, und ich sehe es heute auch in einer Krise, weil es seit 50 Jahren nicht weiterentwickelt worden ist. Zunächst einmal muss man sagen, dass Rundfunkräte ein genuin deutsches System sind. Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Von Hans Bredow, dem „Vater des deutschen Rundfunks“, stammt 1946 der Vorschlag, Rundfunk- und Verwaltungsräte aus „Vertretern der Spitzenverbände und Fachleute“ zu etablieren. In ihnen sollte die in Verbände organisierte Gesellschaft vertreten sein beziehungsweise die „sozial relevanten Gruppen“, wie sie das Verfassungsgericht dann Jahre später nennen sollte.
Hatte Bredow zumindest im Hinterkopf, dass diese Gremien transparent arbeiten?
Nein, überhaupt nicht, Transparenz hat in Deutschland keinerlei Tradition. Man sieht das auch auf anderen Feldern: Bundestagsausschüsse tagen hinter verschlossenen Türen. Das handhaben die Parlamente in den meisten Staaten anders. Im Rundfunkbereich gibt es immerhin zwei Ausnahmen. Die Rundfunkräte des Bayerischen Rundfunks und des RBB tagen öffentlich, Letzterer ermöglicht auch den Abruf einer Videoaufzeichnung im Internet. So etwas ist also keineswegs rechtlich unterbunden, es wird nur nicht praktiziert, weil man im Verborgenen besser Politik machen kann.
Die US-Regulierungsbehörde FCC geht noch weiter: Nicht nur werden die Sitzungen des obersten Gremiums im Internet übertragen, es ist dank Online-Datenbanken auch möglich, jederzeit Akten zu Lizenzierungsverfahren einzusehen.
Das sind einfach unterschiedliche Philosophien. Wenn es bei uns um die Bewerbung für Sendelizenzen geht und die Anwärter ihre Businesspläne vorlegen müssen, dann wird das als Geschäftsgeheimnis von Unternehmen gesehen. Das soll alles unter der Decke bleiben, die Konkurrenz hört schließlich mit. Anderswo gilt dagegen: Will jemand eine Lizenz zur privaten Nutzung von öffentlichen Frequenzen haben, muss er dem Bürger darstellen, was er damit vorhat. Wenn in den USA und Großbritannien Maßnahmen geplant sind, also etwa die Einführung des digitalen Fernsehens, gibt es ein Zeitfenster, in dem die zuständige Behörde der Bevölkerung anbietet, Vorschläge zu unterbreiten, Einsprüche zu erheben, Nachfragen zu stellen. Online ist so etwas besonders einfach, aber es gab diese Regelungen auch schon vor dem Internet-Zeitalter.
Dass das Aufsichtsorgan einer deutschen Landesmedienanstalt vor einer Entscheidung über eine Lizenzierung die Bewerbungsunterlagen ins Internet stellt, ist schwer vorstellbar.
Weil bei uns nach wie vor dieses Ethos fehlt, dass Verwaltung eben auch Kommunikation mit den interessierten Bürgern beinhaltet. Wenn im Namen der Bürger entschieden wird, wer beispielsweise eine Lizenz bekommt, dann soll der Bürger auch ein Anspruch auf ein durchsichtiges Verfahren haben. Würden die Landesmedienanstalten so verfahren wie die entsprechenden Behörden in Großbritannien und den USA, hätten die Verlierer in einem Lizenzierungsverfahrens die Chance, zu beurteilen, ob das Verfahren auf jeder Stufe fair gelaufen und die Begründung nachvollziehbar ist. Vor allem kann man später sehen, ob der Antragssteller, der die Lizenz gewonnen hat, seine Versprechungen einhält.
Woher kommen die wichtigsten Impulse in puncto Transparenz? Durch die Globalisierung der Diskussion?
Sicher, in Deutschland müssen wir uns zunehmend auf internationale Standards einstellen. Das Informationsfreiheitsgesetz etwa, das die behördliche Akteneinsicht der Bürgers gesetzlich garantiert, geht zurück auf ausländische Modelle wie auf den US-amerikanischen Freedom of Information Act von 1966. In Schweden gibt es eine entsprechende Regelung sogar schon seit dem 18. Jahrhundert. Deutschland war eines der letzten Länder, das es Anfang 2006 eingeführt hat.
Wer hemmt die Öffnung?
Vor allem die Politik. Es gibt sogar Bestrebungen, die Rundfunkaufsichtsgremien verstärkt an Staat und Regierung anzubinden und ihre Autonomie auszuhöhlen. Der Staatsvertragsentwurf für die geplante Fusion der Landesmedienanstalten Hamburgs und Schleswig-Holsteins zu einer großen Nord-Anstalt bestätigt nicht nur die Arkanpolitik hinter verschlossenen Türen, sondern enthält tatsächlich den neuen Passus, dass bei den Sitzungen des Aufsichtsgremiums – Medienrat genannt – Vertreter der beiden Landesregierungen jederzeit anwesend sein dürfen und Rederecht haben: Also Staat rein und Bürger raus.
Eine längere Version des Gesprächs erschien in Funkkorrespondenz 5/07
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