: Himmelhoch jauchzend, East End betrübt
POP Stolz und Vorurteil: Der schottische Musiker James Allan und seine Band Glasvegas inszenieren auf ihrem zweiten Album „Euphoric // Heartbreak //“ radiotauglichen Gitarrenbombast
VON JULIAN WEBER
Er hasst Mittelmaß. „Entweder oben auf der Welle reiten oder direkt in der Gosse landen, dazwischen gibt es für mich nichts.“ James Allan, der Sänger von Glasvegas, lässt den Satz fallen wie Kaugummi-Einwickelpapier. Nach dem Gespräch erinnert man sich vor allem an seine schicken weißen Jeans. Und an Augen, die hinter einer Ray-Ban-Sonnenbrille verborgen bleiben. Unbekümmert drauflosplappernd, lümmelt er zusammen mit der Drummerin Jonna Löfgren auf einem Sofa in einem Berliner Hotelzimmer.
Grund ist „Euphoric // Heartbreak //“. Schon der Titel dieses bald erscheinenden zweiten Albums von Allans Band Glasvegas entspricht dem Entweder-Oder, das seine Karriere seit Anbeginn begleitet. In Großbritannien wurde der 31-Jährige gar zur „Stimme einer Generation“ hochgepitcht. Anscheinend triggert die Musik von Glasvegas, ihr himmelhoch jauchzender oder zu Tode betrübter Gitarrenpop-Bombast, mit den Autoradio-kompatiblen Hooklines bei den Fans etwas an. Genau wie der Bandname, eine quälend wohlige Vermählung von Allans Heimatstadt Glasgow mit der Glücksspielmetropole Las Vegas. Der Rost einer sterbenden Industriestadt, verbunden mit dem Plastikglamour in Nevada.
„Das hat rein gar nichts miteinander zu tun. Genauso wenig gibt es euphorischen Herzschmerz“, sagt James Allan bestimmt. „Deshalb sind ja Demarkationslinien im Titel. Ich dachte dabei eher an einen prägnanten Markennamen, so etwas wie Coca-Cola. Aye.“
Das Wörtchen „aye“ schiebt James Allan immer hinterher, um eine Aussage zu unterstreichen. „Aye“ ist Schottisch für „yeah“. James Allan singt im breitesten schottischen Dialekt. Er versteht das als symbolischen Akt des Protests gegen die jahrhundertealte systematische Diskriminierung seiner Muttersprache. Schottland hatte immer schon Popstars hervorgebracht, die aus ihrer Herkunft keinen Hehl machten. Darunter die Gebrüder Reid von The Jesus and Mary Chain, oder Bobby Gillespie von Primal Scream. Traditionell nahmen all jene einen US-Akzent an und ahmten schwarze Musiker nach. Allan beherrscht das Ikonenhafte des Pop auch. Er sieht der Clash-Legende Joe Strummer nicht nur ähnlich, er spielt auch damit und lässt sich außerdem vom Image des Countrysängers Johnny Cash als einsamer „Man in Black“ inspirieren. Aber Allan hat, so scheint es, mit der Tradition der schwarzen Role Models gebrochen.
„Euphoric // Heartbreak//“ beginnt und endet mit Spoken-Word-Passagen, die Songs dazwischen gehen quasi sinfonisch ineinander über. Allan sieht sich von dem schottischen Dichter Robert Burns und dessen Volksliedern (etwa „Auld Lang Syne“) beeinflusst. Oder von „Memories of a justified sinner“, einem Roman des schottischen Goethe-Übersetzers James Hogg. Beide gelten als Erneuerer des Schottischen. Auch Allan singt „I am naye“ statt „I am not“. Er spricht von „cats“, wenn „kids“ gemeint sind, man muss genau hinhören, um sein Glaswegian zu verstehen.
Stützbier in Glasgow
Worum es ihm geht, wird trotzdem sofort klar. Seine Kenntnisse der lokalen Topografie Glasgows verbindet Allan mit präzisen Reimen über die Tristesse des Gewöhnlichen und die Versuche, sich davon zu befreien. Obwohl er inzwischen selbst zum gefeierten Popstar geworden ist, besingt Allan in den Songs des neuen Albums Typen mit Bodenhaftung. „Once my happiness looked so far away / Now it seems I’m here to stay“, lautet der Refrain in „Shine like stars“, dem aktuellen Hit. Auch was das Umdeuten von Popmythen betrifft, hat Allan ein feines Näschen entwickelt. „I am the angel on your shoulder / My name ist Geraldine, I’m your social worker“, heißt es in dem Song „Geraldine“ auf dem Debütalbum.
Was wie klassische Rücksitz-Romantik aus der Babyboomer-Ära des Pop beginnt, entpuppt sich als Kitchen-Sink-Realismus. Allan kopiert zwar den Blue-Eyed-Soul-Gesangsstil der Everly Brothers. Die zuvor in dem Text geäußerten Selbstmordgedanken werden von süßlichem Gitarrensirup umspült. Trotzdem muss man sich erst mal ein Stützbier bestellen, um den Song leichter verdauen zu können.
Im East End von Glasgow, wo James Allan herkommt, ist die Wahrscheinlichkeit, an alkoholbedingter Leberzirrhose zu sterben, sechsmal höher als in anderen Gegenden Großbritanniens. Taucht der Stadtteil in den britischen Medien auf, dann meist mit Negativschlagzeilen. Die klassenspezifische Verelendung im Norden Großbritanniens hat eine lange Tradition. „Sectarianism and the hurtful racist ways / Bring back the glory days / Active citizenship and pure community / Freedom of faith“, reimt Allan in dem Song „Ice Cream Van“. Während der Vortragende zum vertrauten Bimmeln der fahrbaren Eisdiele reminisziert, wird er von der Angst eingeholt, überfallen zu werden.
Man kann diese Zeilen pathetisch finden, und doch zeigen sie eine andere Lebenswirklichkeit als die stereotype Darstellung der fettleibigen Hartz-IV-Zombies, wie sie hierzulande im Reality-TV vorgeführt werden. „Wissen Sie was“, sagt Allan dazu, „bis zum Debütalbum war ich arbeitslos gemeldet. Aber was wichtiger war, ich war damals sehr glücklich. Ich war immer voll Hoffnung, dass mir etwas Gutes widerfährt. Und diese Hoffnung wiegt mehr als gute Dinge, die einem tatsächlich passieren. Ohne Hoffnung hilft einem gar nichts, nicht mal materielle Dinge.“
Glasvegas wurde ladism vorgeworfen, also die Glorifizierung von typisch britischen Macho-Eigenschaften und Typen, die sich zwischen Fußballstadion und Pub dem Zapfhahn ergeben und Schwächere misshandeln. Auf dem neuen Album singt Allan gleich in zwei Songs über den Moment, in dem sich zwei Männer zu ihrem Schwulsein bekennen. Die Musik dazu ist überwältigend kitschig, auch die mächtige Botschaft wirkt alles in allem sehr lad-untypisch.
Eher hat Allan in seinen Songs ein Faible für seelische Krüppel, die den Mondschein etwa hinter Gittern betrachten. „Polmont on my mind“, ein Song über einen berüchtigten Jugendknast, wurde in Großbritannien zum Hit. Glasvegas absolvierten danach eine Benefiztour durch britische Gefängnisse. „Nicht alle Menschen im Knast sind böse. Manche sind geworden, was sie sind, weil sie von ihren Eltern wie Tiere gehalten wurden. In gewisser Weise hege ich für sie Sympathien. Ich spreche sie nicht von Schuld frei. Ich zeige nur, dass mich ihre Geschichten berühren“, erklärt James Allan.
Auf die Frage, ob seine Musik religiöse Untertöne habe und woher das hymnische Element in den Melodien von Glasvegas komme, antwortet er mit einer Anekdote. „Meine Leute zwangen mich, zum Gottesdienst zu gehen. Ich bin in die Kirche, habe die kopierten Seiten aus dem Gesangbuch geholt und hing stattdessen auf der Straße ab. Hinterher bin ich dann mit der Kopie nach Hause.“
Mutter am Gefängnistor
Das neue Album endet mit einem nur von einem Klavier begleiteten Gedicht. Es heißt „Change“ und handelt von einem jungen Mann, der nach Jahren in Haft von seiner Mutter am Gefängnistor abgeholt wird. Obwohl er lange auf den Moment gewartet hat, geht er nur widerwillig nach draußen. Kaum zu glauben, aber Allans eigene Mutter spricht den Part der Frau. Sie wirkt darin ziemlich überzeugend auf den Sohn ein, dass er die Fähigkeit habe, sich zum Positiven zu wandeln.
Wie sein Cousin Rab Allan, der Gitarrist von Glasvegas, wohnt James Allan nach wie vor in dem Viertel, in dem er aufwuchs. Bis zur ersten Tournee verließen beide ihre Heimatstadt nur selten. Was die Einwohner des East End wirklich bewegt, erzählt Allan, sei der Fußball. Die Protestanten unterstützen den Verein Celtic, die Katholiken die Rangers. James Allan brachte es in der Jugend als Kicker bis in die schottische Regionalliga zum Fallkirk FC, ein Talent, das er irgendwann nicht weiterverfolgte. „Es gibt im East End keine Musikschulen, in denen man Instrumente spielen lernt, es gibt nicht einmal Bolzplätze.“
Dass ausgerechnet er es da rausgeschafft hat, scheint ein Wunder. Allan sagt, schwarzer Humor zeichne die East Ender aus. Darin entwickelten sie äußerste Kreativität. Dann nimmt er plötzlich seine Sonnenbrille ab. „Schauen Sie mich an, ich sehe gut aus. Ich bin Celtic-Fan. Mein Cousin Rab ist Rangers-Fan. Haben Sie schon mal einen hübschen Rangers-Fan gesehen?“
■ Glasvegas „Euphoric // Heartbreak //“ (Sony) erscheint am 1. April; live in Hamburg 9. 3., Berlin 10. 3., München 12. 3.
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