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ireland rettet irland von RALF SOTSCHECK

Es gibt viele Möglichkeiten, einen Abend zu verbringen. Man kann ein Buch lesen, ins Kino gehen oder der Farbe auf einer frisch gestrichenen Wand beim Trocknen zuschauen. Ich ließ mich vorigen Mittwoch zur schlechtesten Alternative überreden: Wir sahen uns das Fußballspiel zwischen San Marino und Irland auf einer Großbildwand im Wirtshaus an.

Dass die Leinwand etwas eingerissen und deshalb stark gewellt war, gab dem Spiel eine interessante Note, weil die Spieler sich über lauter kleine Hügel zu wälzen schienen. Leider war es der einzige interessante Aspekt an dem Gekicke. Im Grunde passierte gar nichts, und als die Iren kurz nach der Halbzeitpause in Führung gingen, wurde es noch langweiliger. Der Kommentar passte sich dem Niveau des Spiels an. „Er hat sich die Trainingshose ausgezogen und läuft sich an der Seitenlinie warm“, beobachtete Brian Kerr, der voriges Jahr als Trainer der irischen Nationalmannschaft entlassen wurde und nun als Hilfskommentator arbeitet. „Das könnte darauf hindeuten, dass er bald eingewechselt wird.“ Man ahnt, warum Kerr gefeuert wurde. Wir gaben uns dem Alkohol hin, um das sinnfreie Treiben erträglicher zu gestalten.

Vier Minuten vor Schluss wurde es doch noch spannend. Der irische Torwart und zwei Verteidiger bestaunten den an der Strafraumgrenze am Boden liegenden Stürmer von San Marino. Der schubste den Ball ungestört mit dem Knie an, so dass er provozierend langsam, aber unerreichbar für den Hühnerhaufen, ins Tor kullerte. Die Marinesen waren über den Treffer noch fassungsloser als die Iren. Sollten sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Punkt in einem Qualifikationsspiel holen?

Der Schiedsrichter war dagegen. Die Nachspielzeit von vier Minuten war längst um, aber er ließ so lange weiterspielen, bis Mittelfeldspieler Stephen Ireland Irland erlöste. Der irische Trainer Steve Staunton, dessen Erfahrung sich auf die Stelle als Assistent des Trainers der Jugendmannschaft von Walsall beschränkt, bewies in der Pressekonferenz, dass er Kerrs würdiger Nachfolger ist. „Wir wollten hier drei Punkte holen, und wir haben drei Punkte geholt“, erklärte er den überraschten Zuhörern. Außerdem werde fortan alles gut. „Im März spielen wir normalerweise besser“, hofft er. „Und wir ziehen in den Croke Park um. Das kann ein Vorteil sein, aber auch ein Nachteil.“ Das Stadion Croke Park im Norden Dublins ist das Heiligtum der traditionellen irischen Sportarten Gaelic Football und Gurling. Für Fußball, Rugby und andere barbarische englische Spiele war der Croke Park bisher gesperrt, doch weil der Verband Staatsgelder kassiert, muss er die „Garnisonssportarten“ hereinlassen, solange das Rugbystadion renoviert wird. Zunächst tritt das englische Rugbyteam im März an. Der letzte englische Auftritt im Croke Park ist 87 Jahre her. Damals stürmten Söldner das Stadion und erschossen 13 Menschen aus Rache für eine Anschlagserie der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), der dutzende englischer Agenten zum Opfer fielen. Jetzt sind die Iren favorisiert. Zwar fehlen ihnen die beiden besten Spieler, aber dafür müssen die Engländer diesmal ohne Panzer und Maschinengewehre auskommen.

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