ausgehen und rumstehen: Das Lachen nach Ladenschluss
Ist man 25, kann man den Freitagabend gut in einer der unzähligen Bars am Zionskirchplatz verbringen. Man kann im Schaufenster sitzen und über Linksrenitenz und Bedürfnispausen schwatzen, über den letzten Fluchturlaub auf die Kanaren oder darüber, dass man ein hoffnungsloser Anhänger der 4-Sekunden-Theorie ist (nach der man in den ersten vier Sekunden entscheidet, ob man jemanden sexuell anziehend findet oder nicht) und damit ein gottverfluchter Fatalist.
Mit 35 ist man in der Zentralen Randlage gut aufgehoben. Es gibt die obligaten Sperrmüllmöbel, ausgeschlagene Lampen und extra besinnliche Musik. Am letzten Freitag gab es die von Hassle Hound, einem Mann-Frau-Duo, das beim Singen und Klampfen öfter mal die Augen geschlossen hält. Dem schließt man sich in den Sesseln gerne an, obwohl auch hier einiges an Attraktivität herumsteht und -sitzt, manchmal sogar ohne feste Begleitung. Allerdings herrscht Rauchverbot, weswegen die Nacht in der ZRL an der Schönhauser Allee eben eher kurz bleibt.
Ist man 45, bleibt man vermutlich lieber gleich zu Hause bei einer Flasche Wein und einem guten Buch. Für solche, die sich in jedem Alter ein wenig wie 45 fühlen, gibt es jetzt die Ladenschluss-Killer-Partys im Dussmann. Da kann man zu nachtschlafender Uhrzeit an langen Buchregalen entlangschlurfen, Sekt aus Plastikbechern schlürfen (für umme!), an Croissants mümmeln (dito!) und es sich bei mildem Saxofon-Jazz in einem der gemütlichen Ledersitze bequem machen. Doch, das hat was. Bücher, die man sich immer schon mal kaufen wollte, sich aber bislang nicht leisten konnte, kann man in Seelenruhe durchschmökern. Und das Jazz-Trio gibt sich in Anbetracht von Anlass und Uhrzeit erstaunlich engagiert. Nur die MitarbeiterInnen, mit Ausnahme der StudentInnen, die den Sekt ausschenken, scheinen etwas unglücklich. Aber gefasst.
Ich jedenfalls habe mich durch einige Philosophie geblättert; wunderbare Bücher mit Kapitelüberschriften wie „Die Welt als Phantom & Matrize“ (von Günther Anders) oder „Das Lachen der Bischöfe“ (von Pierre Bourdieu). Dann war mir nach etwas Humor, aber von Pfarr gab’s nichts, meinen Lieblingscartoon von Calvin & Hobbes konnte ich nicht finden, aber es gab da dieses große, superlustige Rattelschneck-Buch. Da habe ich oft auflachen müssen, in diesem Ledersessel in dieser Großbuchhandlung, samstags morgens um halb drei. RENÉ HAMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen