: Der ideale Platz
POLSTERMÖBEL Menschen, deren Lebensart das Lümmeln ist, arbeiten am besten auf dem Sofa. Wer lümmelt, ist anders drauf als ein Büromensch, der reglos seine Wirbel verkrümmt und Arbeit leistet, die ihn fremdbestimmt – nicht körperlich, aber geistig
VON KATRIN SEDDIG
Meine Tante war Bäuerin. Nach der Arbeit saß sie mit ihrem Mann immer draußen auf der Treppe. Wenn wir zu Besuch kamen, saßen wir auch auf der Treppe und tranken Limonade. Im Winter saßen wir in der Küche, aber sobald es halbwegs warm und trocken war, saßen wir auf der Treppe und fanden es richtig so.
Meine Tante hatte natürlich auch ein Wohnzimmer, mit einem gewaltigen Sofa und einer glänzenden, dunklen Schrankwand. Ich habe nie in meinem Leben auf diesem Sofa gesessen. Ich weiß nicht, ob jemand anders jemals auf diesem Sofa gesessen hat und zu welchem Anlass. Denn wenn meine Tante aus dem Stall kam, war sie erschöpft und schmutzig, und wenn sie irgendwann, nach der Treppe, gegessen und gebadet hatte, ging sie nur noch ins Bett. So war das damals in den Bauerndörfern. Ein Sofa war da, aber wurde eigentlich nicht gebraucht, ein Sofa war nur der Beweis dafür, dass man es sich leisten konnte, dass man einen eleganten Kern in seiner Wohnung hatte.
Nicht mal das Bettzeug weggeräumt
Das erste Sofa, das für mich als Arbeitsplatz diente, war eine Schlafcouch, wie sie damals fast jeder in seinem Jugendzimmer hatte. Ich las und schrieb auf meiner Schlafcouch und räumte meist nicht mal das Bettzeug weg, obwohl meine Mutter darauf bestand. Meiner Mutter gefiel es auch nicht, dass ich überhaupt beim Schreiben und Arbeiten lag und nicht an meinem Schreibtisch saß. Aber Auf-dem-Stuhl-Sitzen mochte ich nicht, mag ich heute noch nicht. Ich laufe gern und ich liege gern, aber Sitzen, das ist mir unangenehm. Das krümmt mich, meine Füße werden kalt und meine Schultern tun mir weh.
Mittlerweile arbeite ich ausschließlich auf einem Sofa, das mir auch als Bett dient, so wie in den Zeiten meines Jugendzimmers. Ich lebe einen Jugendzimmerstil. Ich habe Essen und Getränke in Reichweite abgestellt. Ich wickele mich im Winter in meine Bettdecke ein und ich halte mein Laptop zwischen Bauch und aufgestellten Knien eingeklemmt. Im Sommer läuft der Ventilator und ich trage kaum noch Kleidung. Ich kann nackt arbeiten und Bier dabei trinken, wenn ich will. Ich kann alles haben, jede Bequemlichkeit, die ich mir wünsche. Das Einzige, was funktionieren muss, ist mein Gehirn und meine beiden Hände, mit denen ich tippe.
Je freier ich bin, umso besser kann ich arbeiten. Ich weiß, dass diese Art des Arbeitens von einer anderen Generation, von der meiner Eltern, verachtet wird. Meine Mutter hat mich mal auf den Acker geschickt, Rüben ernten. Ich war dreizehn oder vierzehn und ich langweilte mich, weshalb ich ein System erfand, in das ich mich sozusagen reinspielte. Als meine Mutter meine Arbeit kontrollierte, wurde sie wütend, weil, wie sie mir sagte, die Arbeit kein Spiel sei. Arbeit hatte anscheinend möglichst unangenehm zu sein.
Ich wollte mich darauf nicht einlassen, ich stritt mir ihr, ich meinte, es könne ihr egal sein, nach welchem System ich arbeitete, auch wenn ihr dieses System verspielt und unsinnig vorkomme, wenn ich doch am Ende alles erledigt hätte. Diese Art Diskussion hatten wir oft und ich lernte im Verlauf meines Lebens, dass andere Menschen es nicht mögen, wenn man Arbeit spielerisch erledigt. Dass ich nicht anders arbeiten kann, dass ich zutiefst frustriert bin, wenn ich nicht spielen darf, wenn ich mir Dinge nicht angenehm gestalten kann, obwohl die Umstände es erlauben würden, das habe ich jetzt akzeptiert.
Ein Sofa ist für einen Menschen, dessen Lebensart das Lümmeln ist, der ideale Arbeitsplatz. Wer lümmelt, ist mental anders drauf als jemand, der schmerzhaft sitzt und seine Wirbel verkrümmt. Wer lümmelt, schläft mitunter aber auch ein. Das passiert auf dem Sofa. Man schläft ein. Man erwacht und arbeitet weiter. Schlaf ist eine gute Sache. Danach sind die Gedanken frisch.
Auftrag von innen
Für manche Menschen ist es vielleicht ein Problem, an ihrem Arbeitsplatz zu schlafen oder auf ihrem Schlafplatz zu arbeiten. Für mich nicht. Ich unterscheide nicht zwischen Arbeits- und Lebenszeit, weil mein Auftrag kaum von außen, sondern vor allem aus mir kommt. Meine Arbeit durchdringt mein Leben.
Manchmal werde ich nachts wach und liege da und weiß plötzlich ganz genau, was ich schreiben werde. Das macht mich froh und ich schlafe sofort wieder ein. Ich leide nicht unter Schlafstörungen. Ich schlafe wie ein Stein an genau jenem Platz, an dem ich arbeite. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich mit meiner Arbeit nichts Schlechtes verbinde. Meine zufriedensten Momente verbinde ich mit der Arbeit.
Ein Ex-Schwiegervater von mir hatte einen Hof, wo er manchmal Leute zum Arbeiten anstellte. Wenn dann einer von denen, die darauf warteten, ihre Arbeit zugeteilt zu bekommen, die Hände in den Hosentaschen hatte, schickte er ihn sofort wieder nach Hause. Er war der Meinung, dass die innere Einstellung des Betreffenden zur Arbeit eine grundsätzlich falsche wäre.
Ich denke, da ist was dran. Wir müssen immer in der idealen Position sein, wir müssen mit unseren Gliedern, mit unseren Gesten und dem richtigen Blick, von innen heraus, bereit sein, wir müssen auf die Arbeit hingerichtet sein. Ein Sprinter muss mit warmen Muskeln, innerer Konzentration, vorgebeugt, und dem Blick auf den Boden, starten. Er muss laufen wollen. Er muss es wirklich wollen und das sieht man ihm in seiner Stellung an.
In den Büros und den Fabriken sind die Umstände sehr verschiedene. Der körperlich tätige Mensch ist in Bewegung, er passt sich der Arbeit in seiner Position jeweils an, geht mit ihr mit, unterwirft sich ihr und wird Teil ihres Bewegungsprozesses, er bildet eine Muskulatur um den Arbeitsprozess herum aus. Ein Büromensch krümmt sich um die Arbeit. Er sitzt reglos, seine Muskeln verkümmern, er ist gezwungen, fremden Gedanken zu folgen, er muss nach fremden Vorgaben argumentieren, er leistet Gehirnarbeit, die ihn nicht körperlich, sondern geistig fremdbestimmt.
In vielen modernen Büros gibt es Erholungszonen, gibt es Sofas, gibt es unkonventionelle Arbeitsplätze, um ähnliche Voraussetzungen zu schaffen, wie ich sie mir zu Haus in meinem Bettsofa schaffe. Es soll dem Angestellten eine gewisse Freiheit gegeben werden, nicht, damit er sich wohler fühlt, oder doch, damit er sich wohler fühlt, aber zum Zwecke seiner Optimierung. Er soll sich wohler fühlen, damit er besser arbeitet. Das ist schlau und funktioniert, nehme ich an.
Das Problem an den Wohlfühlzonen in den kreativen Firmen ist: Sie wollen dich privat, weil sie wissen, dass da was rauszuholen ist. Ich denke, es ist eine schwierige Frage, ob die Veränderung der Arbeitswelt im modernen Kapitalismus eine zum Menschen hin oder zur besseren Ausbeutung hin ist. Wenn ich es mir bequem mache und mich privat einrichte, kann ich mich dann noch abgrenzen, und wenn die Arbeit wie mein Privatleben ist, wird sie dann dazu, und was geschieht dann mit mir? Wer bin ich dann wo? Kann ich mit dieser unklaren, verwischten Grenze zwischen privat und geschäftlich noch sagen, was meins ist und was ihrs? Und wie soll in dieser besetzten Innenwelt noch ein unabhängiges, zweifelndes Ich bestehen bleiben?
Löcher in die Polster
In der Schule, im Klassenraum meines Sohnes, stehen auch Sofas, schmuddelig und durchgesessen. Da hängen sie in den Pausen drauf herum, essen ihre Brote und stechen mit den Zirkeln Löcher in die Polster. In meiner Schulzeit, DDR, hätte es niemals ein Sofa in der Schule gegeben. Die Klassenräume waren sauber und es gab keine Schmierereien an den Wänden. Es herrschte Disziplin und eine große Ödnis.
In der Schule meines Sohnes herrscht weniger Disziplin und ein kreativer Geist. Es wird komponiert und gemalt, gedichtet, musiziert und es werden Filme gedreht. Es ist vieles erlaubt, was uns nicht erlaubt war: Kaugummi kauen, Musik hören und ein viel freieres Arbeiten. Scheitern ist erlaubt. Eigene Wege gehen ist erlaubt. Arbeiten auf dem Sofa. Du kannst dir das Leben schön machen. Du kannst dir deine Position suchen, aus der heraus du arbeiten kannst und möchtest. Aber Arbeiten musst du. Wenn du nicht arbeitest, musst du diese Schule verlassen.
Wenn du nicht arbeitest, musst du diese Welt verlassen: die Welt, in der dich jemand will, deine Leistung, deine Persönlichkeit, deine Fähigkeiten. In der anderen Welt sitzen sie auch auf dem Sofa – und sehen fern. Am Vormittag. Am Nachmittag. In der Nacht, wenn sie nicht schlafen können. In der anderen Welt ist das Sofa der einzige Ort, wo sie noch sein können. Da ist nur ein durchgesessenes Polster, und der Mensch wird kleiner und kleiner.
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