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Ein Kinderbild wie bei den Nazis

Claus Koch zeigt, wie nahe der gutmütig-autoritäre Bernhard Bueb beim nationalsozialistischen Erziehungsstil ist

Ein bisschen weich sei er, ein bisschen weltfremd und uninformiert, aber durchaus charmant. So wirkt Bernhard Bueb auf manchen. Etwa auf Wolfgang Bergmann, der den ehemaligen Salemer Internatsdirektor in dem Buch „Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb“ so beschreibt. Na gut, könnte man nach der Lektüre denken, da hat sich Bueb wohl im „Lob der Disziplin“ ein etwas konfuser alter Mann sein Leid von der Seele geschrieben, der mit seiner Aufgabe als Leiter des Eliteinternats Schloss Salem am Ende völlig überfordert war. Weshalb dann aber die Mühe auf sich nehmen, so ausführlich zu antworten, wie es acht kritische Autoren getan haben? Andererseits könnte man denken: Herrje, was hat der arme Mann denn Böses geschrieben, um so einen persönlichen Angriff auf sich zu ziehen?

Und da kommen wir der Sache schon näher. Die schnellen und heftigen Repliken, die die acht Autoren in „Vom Missbrauch der Disziplin“ auf Buebs Streitschrift abfeuern, speisen sich ja nicht nur daraus, dass sich dieses Buch über 400.000-mal verkauft hat. Die Leser hätten ja auch mit der Schulter zucken und es lächelnd beiseite legen können. Stattdessen konnte Bueb seine Thesen, durchaus charmant, in Talkshows und Magazinen mit Millionenpublikum verbreiten. Was verbirgt sich also hinter Buebs Frontalangriff gegen liberale Erziehung, dem Schrei nach Disziplin und konsequenten Strafen?

Der Psychologe und Verlagsleiter Claus Koch geht in seinem Beitrag der Tradition nach, in der Buebs Angriffe gegen die Generation der 68er stehen. Er tut dies, indem er sich das Bild des Kindes sowohl von Bueb als auch in der Nazizeit genauer anschaut. Das Ergebnis ist interessant. Es zeigt sich nämlich, dass Buebs Kinderbild punktuelle Ähnlichkeiten hat mit dem der Nationalsozialisten – zumindest in einer „gesäuberten“ Nachkriegsform, wie sie in den Büchern der Johanna Haarer zum Ausdruck kommt. Haarer war während und nach der Nazizeit Autorin von führender Ratgeberliteratur zum Thema Erziehung.

Bueb schreibt, Kinder hätten einen naturgegebenen Egoismus, sie seien träge und undiszipliniert: „Freiwillig wird sich kein Kind und kein Jugendlicher einem Reglement unterordnen – Disziplin heißt eben Unterordnung –, das ihn an der unmittelbaren Befriedigung seiner Wünsche und Triebe hindert.“ Daher müsse Erziehung „die zum Egoismus neigende menschliche Natur gegen den Strich“ bürsten.

Wie Bueb zu diesem Bild von Kindern kommt, bleibt sein Geheimnis – es widerspricht jedenfalls allen empirischen Erkenntnissen. Bei einer Längsschnittuntersuchung zum freiwilligen Engagement in Deutschland von 1998 fanden Forscher für das Familienministerium heraus, dass 37 Prozent der Jugendlichen sich ehrenamtlich engagieren – das ist ein größerer Anteil als bei Erwachsenen. Auch die Shell-Jugendstudie zeigt, dass Kinder ein großes Interesse an Werten und Normen haben.

Dagegen hat Buebs Bild von Kindern durchaus Ähnlichkeiten mit dem Haarers. Haarer war der Meinung, Kinder seien unrein, gierig und faul und wollten sich nicht fügen. Aus diesem Kinderbild leitete sie dann ihre rigiden Erziehungsmaßnahmen ab, die – auch nach dem Krieg – darauf hinausliefen, den Willen des Kindes zu brechen und es der Obrigkeit untertan zu machen.

Ob Ähnlichkeiten mit den Nazis oder nicht, eins ist nach der Lektüre des Buchs „Vom Missbrauch der Disziplin“ jedenfalls klar: Demokratisch sind Erziehungsstil und Weltanschauung des Bernhard Bueb nicht. Nur ein etwas weicher Mann, der sich sein Leid von der Seele schreibt? Wohl kaum. ANNEGRET NILL

Micha Brumlik (Hg.): „Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb“. Beltz, Weinheim und Basel 2007, 12,90 €

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