KOMMENTAR VON BERNWARD JANZING: Radius der Radioaktivität
Spätestens mit den Meldungen vom Wochenende ist eines offenkundig: Das Atomzeitalter wird als eine Epoche des Wahnsinns in die Geschichte eingehen. Denn immer deutlicher werden die Folgen des Atom-GAU von Fukushima von Tag zu Tag, immer deutlicher wird die gigantische Zerstörungskraft, die der Atomtechnik innewohnt.
Aus humanitärer Sicht geht das Desaster in Japan über das hinaus, was man von Naturkatastrophen allein schon gewohnt ist. Denn wenn Menschen, die alles verloren haben, nicht mehr in Notunterkünften aufgenommen werden, weil sie verstrahlt sind, bedeutet das eine neue Dimension des Schreckens.
Zugleich drohen die im halben Dutzend havarierenden Reaktoren eine ökologische Katastrophe von schwer abschätzbarem Ausmaß zu hinterlassen. Möglich, dass die Umgebung der Anlagen von Fukushima auf Jahrhunderte hinaus nicht mehr bewohnbar und auch anderweitig nicht mehr nutzbar sein wird. Und vor der Küste entwickelt sich der Pazifik zu einer Strahlenkloake, ehe er seine Radioaktivität anschließend rund um den Globus verteilt.
Der mehrfache Super-GAU dürfte für Japan aber auch zu einem ökonomischen Fiasko führen. Das mag, menschlich gesehen, auf den ersten Blick zwar noch das geringste Problem darstellen – aber für Europa könnte das am deutlichsten spürbar werden. Wenn Japans Wirtschaft vollends kollabiert und die globalen Warenströme stocken, könnte das die hiesige Ökonomie am Ende stärker treffen als 2008 der Zusammenbruch amerikanischer Großbanken.
Warum nur tut sich ein Land, warum tut sich die Welt das an und setzt auf eine im Krisenfall unbeherrschbare Technik? Es kann darauf definitiv keine vernünftige Antwort geben, wenn man sieht, wie ein Hightech-Land so verzweifelt wie erfolglos versucht, das atomare Höllenfeuer zu bändigen. Wer einem Land die Atomkraft an den Hals wünscht, der muss ein gnadenloser Misanthrop sein.
In Deutschland immerhin erwächst aus der Fassungslosigkeit politische Kraft. Der Druck auf die Regierung wird weiter zunehmen, dem grausamen Spuk hierzulande schnellstmöglich ein Ende zu machen. 250.000 Demonstranten am Wochenende aus allen Teilen der Gesellschaft senden ein starkes Signal – keine Regierung kommt an den Befürwortern eines Atomausstiegs mehr vorbei. Das ist immerhin mal eine positive Nachricht.
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