OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Anfangs wirkt die Dokumentation „The One Man Village“ des libanesischen Regisseurs Simon El Habre wie das Porträt eines leicht exzentrischen Verwandten: Vor fünf Jahren hat Simons Onkel Seemaan El Habre der Hektik der Stadt den Rücken gekehrt und ist in sein Elternhaus auf dem Land zurückgezogen. Jetzt hält er Kühe und verkauft Milch. Ungewöhnlich ist nur, dass außer ihm niemand mehr im Dorf wohnt – alle ursprünglichen Bewohner haben ihr Zuhause verlassen. Die politische Dimension der Geschichte erkennt man erst, als auch andere Mitglieder der weitläufigen El-Habre-Familie ins Dorf kommen. Sie bestellen nur im Sommer ihre Felder, seit sie, die Christen, 1982 im libanesischen Bürgerkrieg flüchten mussten. So stehen sich zwei Parteien gegenüber: Die einen trauen dem Friedens- und Aussöhnungsprozess nicht und trauern längst vergangenen Zeiten hinterher, Seemaan hingegen geht unbeirrt seinem Tagewerk nach und plant, seine Landwirtschaft noch zu vergrößern. Simon El Habre nimmt sich für seine Protagonisten viel Zeit, und so belohnt der auch ästhetisch ansprechende Film den Zuschauer mit interessanten Ein- und Ansichten aus einem gebeutelten und zerrissenen Land. „The One Man Village“ läuft im Arsenal im Rahmen einer Reihe mit Filmen, die vom Berlinale Talent Campus gefördert wurden. (5. 4. Arsenal 1)
„Adieu Philippine“ (1963) des französischen Regisseurs Jacques Rozier gehört zu den klassischen Produktionen der „Nouvelle Vague“. Gedreht mit der Handkamera an Originalschauplätzen, mit natürlichem Licht und nachsynchronisiertem Ton, erzählt der Film die Geschichte eines jungen Kameraassistenten, der kurz vor seiner Einberufung zum Militär steht (d. h. ihm droht der Einsatz im Algerienkrieg). Deshalb plant er eine Urlaubsreise nach Korsika und will mit zwei Mädchen noch einmal möglichst viel Spaß haben. „Adieu Philippine“ zeigt, was es bedeutet, jung zu sein: Da geht es um tanzende Mädchen, Kissenschlachten, das Flanieren durch die Straßen, kleine Eifersüchteleien, den Kauf eines Autos. Kurzum: Alltag von jungen Leuten, inspiriert vom Leben selbst, gespielt und inszeniert von jungen Leuten. (1. 4. bis 4. 4. Regenbogenkino)
Gleich zwei Festivals mit Musikdokumentationen laufen zurzeit in Berlin. „In Edit“ eröffnet am 5. April im Movimento mit dem Tournee-Film „The White Stripes Under Great White Northern Lights“ (R: Emmett Malloy). Auf einer 2007er Tour quer durch alle kanadischen Provinzen treten Jack und Meg White an für eine Rockband wahrlich ungewöhnlichen Orten auf, als da wären: eine Bowlingbahn, ein Kindergarten, ein Fischerboot und ein Altenheim für Inuit. Und auch in der Doku „It Might Get Loud“ ist Jack White dabei: Gemeinsam mit den Kollegen Jimmy Page und The Edge erzählt er von seinem Ansatz, E-Gitarre zu spielen – und natürlich ordentlich Krach zu machen. Zu sehen ist dies im Rahmen des noch bis 10. April laufenden „Musik-Film-Marathons“ in der Kurbel. (White Stripes, 5. 4., Moviemento; It Might Get Loud, 6. 4., Die Kurbel)
LARS PENNING
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