: In den Tiefen des Teerhofs
Ein in Bremen gefundenes Stück Kogge aus dem 14. Jahrhundert versetzt Wissenschaft und Politiker in Aufregung. Letztere bedauern zwar das geringe Schmuckaufkommen an Bord, doch der Schifffahrtsgeschichte stehen wohl mögliche große Schritte bevor
„Sie wollen ja immer nur Schmuck“, rügt der verschlammte Archäologe sein Gegenüber in der Baugrube. Die angesprochene Dame ist in der Tat Edles gewohnt, Elisabeth Motschmann, eine geborene Freifrau, leitet als Staatsrätin (für die CDU) das Bremer Kulturressort. Jetzt hat sie sich in die metertiefe Grube auf der Weserinsel begeben, um das als wissenschaftliche Sensation angekündigte Wrack zu besichtigen, dass Thomas Bischof ausgegraben hat. „Da möchte ich gleich selber buddeln“, ruft Frau Motschmann voll Elan – um sich dann nochmal nach etwaigen Ring-Funden zu erkundigen.
Der Grabungsleiter gibt nicht nach: „Aber ich habe ein paar Knochen in der Tasche“, sagt Bischof schließlich. Statt mit Geschmeide posiert die Staatsrätin schließlich mit einem schwarz angelaufenen Oberkieferknochen für den Bild-Fotografen. „Aber jetzt nehmen Sie mal Ihr Gebiss wieder“, sagt sie leicht pikiert zum Archäologen.
Zurück zur reinen Wissenschaft. Weltweit ist nur ein Handvoll Koggefunde bekannt, die meisten sind fragmentarisiert – das Bremerhavener Schifffahrtsmuseum allerdings kann eines der hanseatischen Handelsschiffe in fast vollständiger Gestalt präsentieren. 1963 wurde es knapp drei Kilometer von der aktuellen Fundstelle entfernt in einer verschlammten Flusskurve gefunden. Der Ort ist kein Zufall: Im Spätmittelalter war der so genannte Teerhof die Werft der Stadt. Bei dem jetzt gefundenen Stück handelt es sich um eine sieben Meter lange Bordwand inklusive des Aufgangs zum Kastell, also zu den Heckbauten. Schiffstypologisch stellt es offenbar den Übergang von der Kogge zur Hulk-Bauweise dar – laut Bischof ein bisher unbekanntes Teilstück der Schifffahrtsgeschichte: „Darauf warten alle Wissenschaftler.“
Keramikfunden zu Folge stammt das Wrack aus dem 14. Jahrhundert, genaueres muss die Laboruntersuchung des Holzes ergeben. Jedenfalls handelt es sich um ein schon im 14. Jahrhundert recyceltes Wrack: Da es nicht wirklich gehoben werden konnte, trieben die damaligen Bremer gewaltige Befestigungspflöcke in seine Bordwand, um es am Ufer zwecks Weiterverwertung festzuhalten.
Dieser Umstand verschafft Bischof das seltene Glück, ein Wrack nicht nur als Kiel samt der unteren Plankengänge in die Finger zu bekommen: Sinkt ein Schiff auf hoher See – der Wissenschaftler verweist auf die „Titanic“ – geht es in der Regel mit dem Kiel voran in die Tiefe. Woraufhin die Seitenwände auseinander brechen und verrotten.
Die Bau- ist eine Fundgrube in noch anderer Hinsicht: Bischof und sein Team haben einen Brückenkopf aus dem 16. Jahrhundert frei gelegt. Die gewaltigen Eichenstämme der Gründung sollen schon am Nachmittag vom Bagger platt gemacht werden. „Da kann man nichts machen, das wird eine Tiefgarage“, sagt der künftige Hausherr. Der Chef der Beluga-Reederei errichtet auf dem Teerhof derzeit seine neue Firmenzentrale. Die Kogge sowie vier, fünf Brückenpfeiler sollen künftig das Foyer zieren. Zunächst allerdings müssen die Holzfunde drei Jahre in eine spezielle Zuckerlösung gelegt werden, um die aufgeweichte Zellstruktur zu härten.
Die Archäologen sind vor Ort auch auf gewaltige Trümmer der „Braut“ gestoßen: Der gewaltige Pulverturm explodierte bei einem Unwetter 1739 und schleuderte seine Brocken über die Weser bis in den Dom. Der Blitzableiter wurde erst anschließend erfunden. HENNING BLEYL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen