in fußballland: Ein irres Experiment
CHRISTOPH BIERMANN hat endlich ein guten Fußballroman gelesen. Er orientiert sich an der Biografie eines legendären Trainers von Leeds United
Christoph Biermann (46) liebt Fußball und schreibt darüber
„Meine Herren, ich teile Ihnen hiermit gerne mit, dass Ihr Haufen zwar alle Titel gewonnen hat, die es in diesem Land gibt und einige europäische noch dazu, aber soweit es mich betrifft, können Sie mir als Erstes den Gefallen tun und Ihre ganzen Pokale, Meisterschalen und Medaillen in die beschissen größte Mülltonne werfen, die Sie finden können, weil Sie nichts davon auf ehrliche Weise gewonnen haben, sondern alles nur durch verdammten Betrug.“ Jesus, was für eine Begrüßung! Der neue Trainer tritt vor die Mannschaft, die er gerade übernommen hat, und zeigt ihr seine ganze Verachtung. Er möchte sie nicht von sich überzeugen, sondern offenbart ihr nur seinen Hass. Alttestamentarischen Hass. Er will, dass sie all dem abschwören, was sie in den vorangegangenen Jahren erreicht haben. Sie sollen die Geschichte ihrer Siege auslöschen und von vorne beginnen. Wie kann das gut gehen?
Es ist zu Recht allgemeine Überzeugung, dass es keine gelungene fiktionale Literatur über Fußball gibt. Das liegt allein schon daran, dass die Geschichten, die sich aus dem unablässigen Geschehen des Fußballs ergeben, allein schon mehr Kraft haben als alles, was man sich ausdenken könnte. Außerdem ist die Realität im Fußball so stark, dass fiktive Fußballmannschaften selbst im Rahmen der interessantesten Romankonstruktionen befremdlich wirken.
Der englische Autor David Peace hat dieses Problem auf so nahe liegende wie faszinierende Art und Weise gelöst. Er hat einen Stoff genau recherchiert, ihn aber nicht als Sachbuch aufgeschrieben, sondern als Roman. 42 Tage lang war Brian Clough im Jahr 1974 der Trainer von Leeds United, nachdem sein Vorgänger Don Revie den Klub verlassen hatte, um englischer Nationaltrainer zu werden. Vorher hatte Leeds unter Revie zweimal die Meisterschaft und einmal den Pokal gewonnen. Außerdem hatte er das Europapokalfinale der Landesmeister erreicht und in Paris gegen Bayern München verloren. In jener Zeit galt Revies Team als eine der unangenehmsten Mannschaften Englands. Leeds war verhasst dafür, stets in den Grenzbereichen des Regelbuchs zu spielen und die Gegner mit allen, auch schmutzigen, Tricks zu bekämpfen.
Clough konnte in den besten Jahren von Leeds mit dem Provinzklub Derby County als Einziger sportlich mithalten. Zugleich kritisierte der Mann, der als Fernsehkommentator und Zeitungskolumnist beharrlich das Großmaul gab („Wenn ich einmal abtrete, wird Gott seinen Lieblingsplatz räumen müssen“), Revie und sein Team unablässig öffentlich. So scheint es, als hätten sich Clough und Leeds United zu einem irren Experiment verabredet, als er dort Trainer wird.
„The Damned United“ erzählt jene Tage aus der Perspektive des Trainers, der so paranoid ist, dass er den Schreibtisch seines Vorgängers mit einer Axt zerhackt und dessen sorgsam angelegte Akten über Spieler und Schiedsrichter auf dem Parkplatz hinter der Haupttribüne verbrennt. Man erlebt Clough dabei als eine maßlose Figur – größenwahnsinnig und manisch, besoffen und verheult unter den stets regenschweren Wolken Yorkshires. Fast hat man das Gefühl, Clough würde sich hinter feindlichen Linien bewegen, um das Böse von innen zu zerstören.
Peace (der offenbar vom Jahr 1974 besessen ist, denn in diesem Jahr spielte ein Thriller von ihm, der die Jahreszahl als Titel trägt) nutzt die ganze Wucht einer großen Figur so wie einer bizarren Geschichte und erzählt zwischendurch in Rückblenden, wie Cloughs Weg nach Leeds war. Er rekonstruiert die Vorgänge genau und macht Clough dank seiner Sprachkraft zu einer literarischen Figur. Sein Roman, bislang leider noch nicht in Deutschland erschienen, wird fortan der Gegenbeweis zur These sein, dass Fußball kein Stoff für Romane ist. Ein Klassiker wird er zudem werden.
Brian Clough wurde zur Legende, als er mit dem großen Außenseiter Nottingham Forest nicht nur englischer Meister wurde, sondern auch zweimal den Europapokal der Landesmeister gewann. Die Verdammten aus Leeds hingegen mussten 18 Jahre auf den nächsten Meistertitel warten.
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