piwik no script img

Ratten hin, Ratten her

Russische Seele mit ordentlich Schmackes: Julia Belomlinskaja mag gern viel Fleisch. Mit einer Performance stellt die nach New York emigrierte „Großstadtirre“ heute im Münzsalon ihr Romandebüt „Apfel, Huhn und Puschkin“ vor

„Festzustellen ist ein unzureichender Fleischgehalt.“ Diesen Satz hat Julia Belomlinskaja mal auf dem Protokoll der Überprüfung einer russischen Betriebskantine gelesen. Seither ist er für sie Inbegriff für all die unsinnliche Halbherzigkeit, die sie an ihren Mitmenschen so ungeheuer langweilt. Deshalb versteht es sich von selbst, dass ihr Romandebüt „Apfel, Huhn und Puschkin“ nur so strotzt vor Sinnlichkeit.

Die aus St. Petersburg stammende Autorin, die auch als Sängerin und Regisseurin arbeitet, erzählt in ihrem autobiografischen Roman über ihr Leben als Emigrantin in der New Yorker Künstlerszene. Im russischen Original heißt ihr Buch „Das Arme Mädchen“. Die Geschichte vom Armen Mädchen, das sich umbringt, als ihr Liebhaber sie für eine reichere Frau verlässt, ist in Russland eine allgemein bekannte Erzählung. Belomlinskajas Buch ist eine Hommage an dieses Mädchen, dessen Nachfolgerin im Hansdampf-Modus sie ist. Mit umwerfender Selbstironie und in kolossalem Tempo erzählt sie vor allem von den Tücken, mit denen man als nicht mehr ganz so junge Frau zu kämpfen hat. Zum Beispiel wenn man seinen schnarchlangweiligen Mann in der amerikanischen Provinz zurückgelassen hat und nun in New Yorker Boheme-Kreisen auf der Suche nach einem Liebhaber ist. Die aber sind erstens rar und haben zweitens auch so ihre Schwierigkeiten mit einer Frau, die in Bekanntenkreisen gern als „die Großstadtirre“ gehandelt wird.

Denn genauso knackig und emotionsgeladen, wie sie erzählt, scheint Belomlinskaja auch zu sein. Und ein bisschen ungeschickt dazu. Deshalb endet so manche Verabredung im Desaster. Etwa wenn sie – kurz bevor es ernst wird – noch schnell ihre Füße wäscht und dabei nicht nur das Waschbecken ihres Beinahe-Beischläfers, sondern gleich auch noch die ganze Stimmung zerstört. Als Folge ihrer deprimierenden Männerquote heuert sie in einem SM-Studio an, verfällt zwischenzeitlich dem Alkohol, um dann – wie es sich für ein Armes Mädchen gehört – ihren Selbstmord anzukündigen. Sie verwirft ihn dann aber doch wieder.

Dass die Exzentrik, die ihr Leben wie auch das Buch bestimmt, nicht draufgeschafft wirkt, liegt an Belomlinskajas Liebenswürdigkeit. So erklärt sie kurzerhand ihre New Yorker Stammkneipe zu einem Treffpunkt für die Reichen und Armen der Stadt und entwickelt eine Theorie darüber, wie man bedürftigen Menschen etwas abgeben kann, ohne dass es herablassend wirkt. Überhaupt soll ihr Buch, schreibt sie im Vorwort an den Leser, angewandte Philosophie sein. Tatsächlich hat sie für fast alles und jeden einen Kommentar. Hitler lässt die russische Jüdin nachträglich ausrichten: „Fick dich, von wegen judenfrei!“ Genauso kurz und bündig ist ihre Einschätzung des Autorinnendaseins: Einen Roman zu schreiben sei ungefähr so, als müsse man als Aufnahmeprüfung bei den Freimaurern eine Ratte fressen. Folglich sei das nichts für junge Mädchen.

Belomlinskaja ist kein junges Mädchen mehr. Und deshalb schreibt sie – Ratte hin, Ratte her – einen Roman. Nicht zuletzt deswegen übrigens, weil sie gehört hat, dass man auf diese Weise nicht nur die Herzen der Leser, sondern auch die der Männer erobern kann. Dass allerdings einige Vertreter der Spezies Mann bei dieser Überdosis Fleischhaltigkeit zurückzucken, kann man sich nur zu gut vorstellen. Aber die sollen einfach beim weich gekochten Kantinengemüse bleiben. WIEBKE POROMBKA

Julia Belomlinskaja: „Apfel, Huhn und Puschkin“. Matthes & Seitz, Berlin 2007, 288 Seiten Heute um 20 Uhr: Buchpremierenshow mit Film und Musik, Münzsalon, Münzstraße 23; weitere Lesungen: 21. 3., Nimmersatt Buchhandlung; 27. 3., Sergej Mawrizki Stiftung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen